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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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es wünschenswert ist, wenn ein bißchen Profit dabei herausspringt.«
    Eine Woche später kniete ich an einem glutheißen Tag auf dem Hals eines narkotisierten Fohlens mitten auf einem Feld. Ich beobachtete das friedlich schlafende Tier, goß noch ein paar Tropfen Chloroform auf die Maske und schraubte dann die Kappe auf die Flasche. Das Tier hatte jetzt bestimmt genug bekommen.
    Ungezählte Male haben Siegfried und ich im Lauf der Jahre diese Szene gespielt: das Pferd auf seinem Graspolster, mein Chef beim Schneiden, ich als beobachtender Anästhesist. Siegfried war sowohl ein geborener Pferdespezialist als auch ein geschickter Chirurg, mit dem ich nicht konkurrieren konnte, und deshalb führte ich bei unserer gemeinsamen Arbeit stets die Narkose durch. Wir operierten gern im Freien; es war sauberer, und wenn das Pferd wild wurde, bestand weniger Gefahr, daß es sich verletzte.
    Alles war wie üblich verlaufen. Ich war zu dem Fohlen in die Box gegangen, hatte die Narkosemaske unter dem Kummet befestigt und das Tier zu einer weichen, flachen Stelle auf dem Feld geführt. Während ein Gehilfe das Kummet hielt, goß ich etwas Chloroform auf die Maske. Das Fohlen schnüffelte und schüttelte bei dem seltsamen Geruch den Kopf. Während der Mann mit dem Fohlen langsam im Kreis herumging, fügte ich noch mehr Chloroform hinzu, bis das Fohlen zu schwanken begann. Dieses Stadium dauerte immer ein paar Minuten, und ich wußte genau, was Siegfried jetzt sagen würde – er sagte es nämlich jedesmal.
    »Er geht nicht runter, James. Meinen Sie nicht, wir sollten ein Vorderbein hochbinden?«
    Ich wandte meine übliche Politik an und stellte mich taub. Ein paar Sekunden später taumelte das Fohlen noch einmal und brach dann zusammen. Siegfried, von seiner erzwungenen Inaktivität befreit, übernahm das Kommando. »Setzen Sie sich auf seinen Kopf!« schrie er. »Schlingen Sie ein Tau um das obere Hinterbein und ziehen Sie es nach vorn! Bringen Sie mir den Eimer Wasser hierher! Los, Bewegung!«
    Es war ein jäher Umschwung. Eben noch Friede und Stille, und jetzt Männer, die hierhin und dorthin rannten und, angefeuert durch Siegfrieds Befehle, einander im Eifer des Gefechts anrempelten.
    Heute, dreißig Jahre später, narkotisiere ich noch immer Pferde für Siegfried, und er sagt noch immer: »Er geht nicht runter, James.«
    Ich mache jetzt meistens eine intravenöse Injektion mit Thiopenton, die ein Pferd in etwa zehn Sekunden betäubt. Siegfried hat also nicht viel Zeit, sein Sprüchlein aufzusagen, aber er schafft es irgendwann zwischen der siebten und zehnten Sekunde.
    An diesem Morgen hatten wir es mit einer Verletzung zu tun, einer schweren Verletzung, die eine Vollnarkose rechtfertigte. Das Fohlen, das von einer edlen Jagdstute abstammte, war in seiner Koppel umhergaloppiert. Als es den Drang verspürte, die Außenwelt zu besichtigen, hatte es ausgerechnet den einzigen scharfen Pfahl der Umzäunung gewählt, um hinüberzuspringen, und war zwischen den Vorderbeinen durchbohrt worden. Bei dem Versuch, freizukommen, hatte sich das Tier an der Brust sehr stark verletzt: Die Haut hing in Fetzen herab, und die großen Brustbeinmuskeln waren wie von einem Hackmesser zerschnitten.
    »Rollt ihn auf den Rücken«, ordnete Siegfried an. »Ja, so ist’s gut.« Er nahm eine Sonde von dem Tablett, das neben ihm lag, und untersuchte vorsichtig die Wunde. »Knochen nicht beschädigt«, brummte er. Nachdem er mit einer Pinzette alle Splitter herausgefischt hatte, die er finden konnte, drehte er sich zu mir um.
    »Das wird eine lange Naht. Sie können weitermachen, wenn Sie wollen.«
    Als wir die Plätze wechselten, fragte ich mich, ob er vielleicht enttäuscht sei, weil die Sache nicht interessant war. Bei einer komplizierten Operation hätte er mich sicherlich nicht aufgefordert, weiterzumachen. Dann fiel mir die Gastrotomie bei dem Hund ein. Wollte Siegfried mich wegen meiner Materialvergeudung auf die Probe stellen? Nun, diesmal würde ich aufpassen.
    Ich fädelte ein winziges Stück Katgut ein, stach in den verletzten Muskel und brachte ihn mit einiger Anstrengung an seinen Platz zurück. Das Verknoten der kurzen Enden war mühsam – es kostete mich dreimal soviel Zeit wie unter normalen Umständen. Aber ich hielt verbissen durch. Die eine Mahnung, die ich hatte einstecken müssen, genügte mir vollauf.
    Ich hatte etwa ein halbes Dutzend Stiche gemacht, als ich wieder die Wellen spürte, die von Siegfried ausgingen. Er kniete neben

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