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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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und bot den gierigen kleinen Mäulern ihr Euter dar. Das gab mir Gelegenheit, ihren Fuß zu untersuchen.
    »Ja, der ist es«, sagte Mr. Worley besorgt. »Sie konnte kaum humpeln, als sie heute morgen aufstand.«
    Etwas Besonderes schien ihr nicht zu fehlen. Das Horn des Hufs hatte sich etwas zu weit vorgewölbt und die empfindliche Fußsohle wund gerieben, aber wegen solcher Kleinigkeiten wurde für gewöhnlich kein Arzt gerufen. Ich kürzte den überstehenden Teil und behandelte die schmerzende Stelle mit unserer Allzwecksalbe. Mr. Worley kniete die ganze Zeit neben Queenie, streichelte sie und flüsterte ihr unverständliche Worte ins Ohr – es war vermutlich die Schweinesprache, denn die Sau schien ihm mit leisen Grunzlauten zu antworten. Jedenfalls half das besser als jedes Betäubungsmittel, und alle waren glücklich und zufrieden, auch die lange Reihe der Ferkel, die eifrig an den Zitzen saugten.
    »So, Mr. Worley.« Ich stand auf und reichte ihm den Topf mit Salbe. »Reiben Sie sie damit zweimal am Tag ein, dann ist sie bald wieder gesund.«
    »Danke, danke. Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar.« Er schüttelte mir kräftig die Hand, als hätte ich dem Tier das Leben gerettet. »Hat mich gefreut, Mr. Herriot. Ich kenne Mr. Farnon schon seit ein, zwei Jahren, und ich schätze ihn sehr. Er liebt Schweine, dieser Mann. Und sein junger Bruder war auch schon ein paarmal hier – mir scheint, auch er mag Schweine.«
    »Außerordentlich, Mr. Worley.«
    »Ah ja, das dachte ich mir. Ich kann so was sehen.« Er betrachtete mich mit feuchten Augen und lächelte dann zufrieden.
    Wir gingen hinaus auf den Hinterhof des Gasthauses. Mr. Worley war nämlich kein richtiger Bauer, sondern der Besitzer vom Langthorpe Falls Hotel, und sein kostbares Vieh war in den ehemaligen Pferdeställen und der Wagenremise des Gasthofs untergebracht. Welche Tür man auch öffnete, man starrte stets in die Augen rotblonder Schweine. Natürlich gab es auch ein paar Eber, von denen einer zum Schlachten gemästet wurde, aber Mr. Worleys Stolz waren seine Säue. Er hatte sechs – Queenie, Princess, Ruby, Marigold, Delilah und Primrose.
    Erfahrene Bauern hatten Mr. Worley oft genug versichert, aus seinen Säuen könne niemals etwas Vernünftiges werden. Wer sich aufs Züchten verlege, sagten sie, der müsse geeignete Räume dafür haben, es sei absolut sinnlos, Säue in behelfsmäßige Ställe zu stopfen. Aber Mr. Worleys Säue warfen trotzdem Ferkel von beispielloser Größe und zogen sie voller Liebe auf. Sie waren alle gute Mütter, die ihre Kinder nie grob behandelten oder sie unter ihren plumpen Körpern erdrückten. So passierte es mit unheimlicher Regelmäßigkeit, daß Mr. Worley am Ende von acht Wochen zwölf dicke Schweinchen zum Markt bringen konnte.
    Das schmeckte den Bauern ganz und gar nicht, und die Pille war um so bitterer, als der Gastwirt aus dem Industriebezirk West Riding kam – aus Halifax, glaube ich –, ein schwächlicher, kurzsichtiger, kleiner Zeitungshändler, der sich zur Ruhe gesetzt hatte und als Landwirt keinerlei Erfahrung besaß. Von Rechts wegen hätte die Sache schiefgehen müssen.
    Wir verließen den Hof und kamen zu der stillen Straßenschleife, wo ich meinen Wagen geparkt hatte. Gleich dahinter fiel die Straße steil ab in eine von Bäumen gesäumte Schlucht, durch die der Darrow über eine Felsschicht strömte, bevor er sich in das untere Dale ergoß. Von dort, wo ich stand, war nichts zu erkennen, aber ich hörte das schwache Brausen des Wassers und konnte mir die schwarze Felswand vorstellen, die senkrecht aus dem kochenden Fluß ragte. Auf der anderen Straßenseite war ein sanfter Grashang, den die Ausflügler gern als Rastplatz wählten, um die malerische Gegend zu bewundern.
    Soeben war ein großes, glänzendes Auto eingetroffen, und die Insassen stiegen aus. Der Fahrer, ein wohlgenährter Mann, kam auf uns zu und rief: »Wir hätten gern Tee.«
    Mr. Worley drehte sich zu ihm um. »Ja, den können Sie kriegen, Meister, aber erst wenn ich hier fertig bin. Ich hab mit diesem Herrn was Wichtiges zu besprechen.« Er kehrte dem Mann den Rücken zu und bat mich um letzte Instruktionen über Queenies Fuß.
    Der Fremde war offensichtlich verblüfft. Mir schien, Mr. Worley hätte etwas taktvoller vorgehen können – schließlich verdiente er seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Speisen und Getränken –, aber als ich ihn im Lauf der Zeit besser kennenlernte, wurde mir klar, daß seine Schweine immer

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