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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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ich meine Augen von dem Bild ab und entdeckte die Speckseiten und Schinken, die von Haken an der Decke herabhingen. Mr. Alderson wendete eine Seite um. Die Uhr tickte. Drüben am Tisch kicherten die Kinder.
    Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich Schritte auf der Treppe hörte. Dann kam Helen herein. Sie hatte ein blaues Kleid an, das die Schultern frei ließ. Ihr dunkles Haar glänzte im Licht der einzigen Lampe, die den Raum erhellte und Schatten auf die weichen Linien ihres Halses und der Schultern warf. Über dem Arm trug sie einen Kamelhaarmantel.
    Ich war überwältigt. In dieser rauhen Umgebung von Steinfliesen und geweißten Wänden wirkte sie wie ein kostbares Juwel. Sie lächelte mir freundlich zu. »Hallo, hoffentlich habe ich Sie nicht zu lange warten lassen.«
    Ich murmelte irgend etwas zur Antwort und half ihr in den Mantel. Sie ging zu ihrem Vater und gab ihm einen Kuß, aber er blickte nicht auf, sondern winkte nur vage mit der Hand. Vom Tisch her kam ein erneutes Gekicher. Wir gingen hinaus.
    Im Auto fühlte ich mich ungewöhnlich nervös und brachte anfangs nur ein paar blöde Bemerkungen über das Wetter zustande. Gerade fing ich an, mich ein wenig zu entspannen, als ich über eine kleine, buckelige Brücke fuhr und unversehens in eine Vertiefung geriet. Der Wagen blieb stehen. Der Motor hustete leise, und dann saßen wir schweigend und regungslos in der Dunkelheit, bis ich plötzlich merkte, daß meine Füße und Fußknöchel eiskalt waren.
    »Mein Gott!« schrie ich. »Wir sind in eine Überschwemmung hineingeraten. Das Wasser steht schon im Wagen.« Ich sah Helen an. »Es tut mir schrecklich leid – Ihre Füße müssen klatschnaß sein.«
    Helen lachte. Sie hatte die Füße auf den Sitz und die Knie bis unters Kinn hochgezogen. »Ja, ich bin ein bißchen feucht, aber vom Herumsitzen wird’s nicht besser. Sollten wir nicht lieber schieben?«
    Durch das schwarze, eiskalte Wasser zu waten war ein Alptraum, aber es gab kein Entrinnen. Zum Glück war der Wagen klein, und so schafften wir es in gemeinsamer Anstrengung, ihn aus dem Tümpel herauszuschieben. Im Licht der Taschenlampe trocknete ich die Zündkerzen ab und warf den Motor wieder an.
    Helen zitterte vor Kälte, als wir im Wagen saßen. »Ich fürchte, ich muß zurück, um Schuhe und Strümpfe zu wechseln. Und Sie auch. Wir können über Fensley fahren. Die erste Abzweigung links.«
    Mr. Alderson las noch immer den Farmer and Stockbreeder. Er hielt seinen Finger auf die Liste der Schweinepreise, während er mir über seine Brillenränder hinweg einen finsteren Blick zuwarf. Als er hörte, daß ich mir von ihm Schuhe und Socken ausleihen wollte, schleuderte er die Zeitung auf den Boden und erhob sich ächzend von seinem Stuhl. Er schlurfte aus dem Raum, und ich hörte ihn vor sich hin murmeln, während er die Treppe hinaufstieg.
    Helen folgte ihm und ließ mich mit den beiden Kindern allein. Sie betrachteten meine durchnäßte Hose mit unverhülltem Vergnügen. Ich hatte zwar den größten Teil des Wassers ausgewrungen, aber das Ergebnis war katastrophal. Mrs. Halls messerscharfe Bügelfalte reichte gerade bis zu den Knien; darunter bauschte sich die Hose zu einer zerknitterten, formlosen Masse; als ich mich vor den Kamin stellte, um sie zu trocknen, stieg ein zarter Dampf auf. Die Kinder starrten mich beglückt an. Es war ein großer Abend für sie.
    Endlich kam Mr. Alderson herein und warf mir ein paar Schuhe und derbe Socken vor die Füße. Ich zog die Socken rasch an, schrak aber zurück, als ich die Schuhe sah. Es waren Lackpumps aus der Zeit der Jahrhundertwende, und auf dem rissigen Leder saßen breite, schwarze Seidenschleifen.
    Ich öffnete den Mund, um zu protestieren, aber Mr. Alderson hatte sich schon wieder in seinem Sessel vergraben und studierte die Schweinepreise. Ich hatte das Gefühl, falls ich um ein anderes Paar Schuhe bäte, würde er mit dem Schürhaken auf mich losgehen. Also zog ich die Lackpumps an.
    Wir mußten einen Umweg machen, um den überschwemmten Straßenabschnitt zu vermeiden, aber ich trat kräftig auf den Gashebel, und nach einer halben Stunde hatten wir die steilen Hänge des Dale hinter uns gelassen und fuhren auf der Ebene weiter. Ich fühlte mich besser. Wir kamen gut voran, und der kleine, zitternde, quietschende Wagen hielt sich wacker. Ich dachte gerade, daß wir gar nicht soviel Verspätung hätten, als das Lenkrad nach einer Seite herüberzog.
    Da ich fast jeden Tag eine Reifenpanne hatte, erkannte ich

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