Der Doktor und das liebe Vieh
die Symptome sofort. Im Reifenwechsel war ich ein Experte geworden, und mit einem Wort der Entschuldigung sprang ich wie der Blitz aus dem Wagen. Es dauerte knapp drei Minuten, bis ich das Rad entfernt hatte. Der schadhafte Reifen hatte überhaupt kein Profil mehr. Ich schraubte das Reserverad an und stellte entsetzt fest, daß dieser Reifen in genau demselben Zustand war wie der andere. Aber ich weigerte mich standhaft, darüber nachzudenken, was ich im Fall einer zweiten Panne tun würde.
Bei Tag thronte das Reniston wie eine große mittelalterliche Festung über Brawton, und bunte Fahnen flatterten arrogant auf seinen vier Türmchen. An diesem Abend aber wirkte es wie eine dunkle Felswand mit einer leuchtenden Höhle in Straßenhöhe, vor der die Bentleys ihre teure Last abluden. Ich fuhr nicht am Haupteingang vor, sondern brachte mein Wägelchen in einer verschwiegenen Ecke des Parkplatzes unter. Ein stattlicher Portier hielt uns die Tür auf, und wir schritten lautlos über den kostbaren Teppich der Eingangshalle.
Dann trennten wir uns, um unsere Mäntel abzugeben. In der Herrengarderobe schrubbte ich wie wild meine öligen Hände. Es nützte nicht viel, denn beim Radwechsel hatten meine Fingernägel tiefschwarze Ränder bekommen, die gegen Seife und Wasser immun waren. Und Helen wartete auf mich.
Ich sah im Spiegel, daß der Garderobenmann in seiner weißen Jacke hinter mir stand und ein Handtuch bereithielt. Offensichtlich fasziniert von meinem Aufzug, starrte er auf die Clownsschuhe mit den großen Schleifen und die zerknitterten Hosenbeine. Als er mir das Handtuch reichte, lächelte er breit, als wäre er dankbar für dieses bißchen Kolorit in seinem eintönigen Dasein.
Ich traf Helen in der Halle wieder, und wir gingen zum Empfangspult. »Wann beginnt der Tanz?« erkundigte ich mich.
Das Mädchen hinter dem Pult blickte mich erstaunt an. »Tut mir leid, Sir, an diesem Wochenende ist kein Tanz. Nur alle vierzehn Tage.«
Ich sah Helen bestürzt an, aber sie lächelte ermutigend. »Das macht nichts«, meinte sie. »Mir ist es einerlei, ob wir tanzen oder nicht.«
»Wir können auf jeden Fall zu Abend essen«, sagte ich in fröhlichem Ton, aber eine kleine schwarze Wolke des Verhängnisses schien sich über meinem Kopf zu bilden. Würde an diesem Abend denn alles schiefgehen? Ich fühlte mich ziemlich bedrückt, als ich über den dicken, weichen Teppich ging, und beim Anblick des Speisesaals wurde meine Stimmung nicht besser.
Der Raum war so groß wie ein Fußballplatz und hatte Marmorsäulen, die eine kunstvoll bemalte Stuckdecke trugen. Das Reniston war in der spätviktorianischen Zeit erbaut worden, und all der Reichtum und die überladene Pracht jener Tage waren in diesem Saal vereinigt. Was die Gäste betraf, so hatte ich noch nie so viele schöne Frauen und gebieterisch wirkende Männer unter einem Dach gesehen. Zu meinem Entsetzen stellte ich fest, daß die Herren von dunklen Sakkos bis zu Tweedjacken alles trugen, daß aber nicht ein einziger Smoking zu entdecken war.
Eine majestätische, befrackte Gestalt kam auf uns zugeeilt. Mit der weißen Haarmähne, der hohen Stirn, der Adlernase und der fülligen Taille sah der Ober genauso aus wie ein römischer Imperator. Er musterte mich mit Kennerblick und fragte halblaut: »Sie wünschen einen Tisch, Sir?«
»Ja, bitte«, murmelte ich und konnte mich gerade noch zurückhalten, ihn ebenfalls mit ›Sir‹ anzureden. »Einen Tisch für zwei Personen.«
»Sind Sie Hotelgast, Sir?«
Diese Frage verwirrte mich. Wie konnte ich hier speisen, ohne Gast des Hotels zu sein?
»Ja, natürlich.«
Der Imperator machte eine Notiz auf einem Schreibblock. »Hier entlang, Sir.«
Er schritt höchst würdevoll zwischen den Tischen hindurch, während ich unterwürfig mit Helen folgte. Es war ein langer Weg bis zu dem Tisch, und ich bemühte mich, die Köpfe zu ignorieren, die sich nach mir umdrehten, als ich vorbeiging. Ich wurde das Gefühl nicht los, der von Mrs. Hall in meine Hose eingesetzte Keil rage deutlich sichtbar unter der kurzen Jacke heraus. Er brannte regelrecht auf meinem Hinterteil, als wir endlich am Ziel waren.
Wir bekamen einen guten Tisch. Mehrere Kellner bemühten sich um uns, zogen unsere Stühle heraus und schoben sie zurecht, entfalteten die Servietten und legten sie uns auf den Schoß. Als das getan war, übernahm wieder der Imperator das Kommando.
»Darf ich um Ihre Zimmernummer bitten, Sir?«
Ich schluckte und starrte ihn über meine
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