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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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Hemden. Dieser Anzug war sehr streng geschnitten, und zu ihm gehörten eine absurd kleine Weste und ein steifes Hemd mit einer glänzenden Vorderseite und einem hohen Eckenkragen.
    Meine Probleme begannen jedoch erst richtig, als ich das gute Stück anprobierte. Das war harte Arbeit, denn die Gebirgsluft und Mrs. Halls gutes Essen hatten mich fülliger gemacht, so daß die Jacke über meinem Bauch sechs Zoll auseinanderklaffte. Auch schien ich größer geworden zu sein, denn es war sehr viel Platz zwischen dem unteren Saum der Weste und dem Hosenbund. Die Hose selbst spannte sich hauteng über mein Hinterteil, bauschte sich jedoch weiter unten in geradezu lächerlicher Weise.
    Tristans Zuversicht schwand, als ich mich präsentierte, und er beschloß, Mrs. Hall zu Rate zu ziehen. Sie war eine phlegmatische Frau und ertrug das unregelmäßige Leben in Skeldale House ohne erkennbare Reaktion, aber als sie jetzt ins Schlafzimmer kam und mich ansah, begannen ihre Wangenmuskeln zu zucken. Schließlich überwand sie ihr Erstaunen und sagte in sachlichem Ton: »Ein kleiner Keil hinten in Ihrer Hose wird Wunder wirken, Mr. Herriot, und wenn ich eine Schlaufe aus Seidenkordel als Verschluß an die Jacke nähe, dann sieht das bestimmt sehr hübsch aus. Ein bißchen Zwischenraum wird wohl noch bleiben, aber das stört nicht. Und wenn ich den Anzug richtig aufbügle, werden Sie sehr distinguiert aussehen.«
    Ich hatte nie besonderen Wert auf mein Äußeres gelegt, aber an diesem Abend gab ich mir alle Mühe, benutzte Hautkrem und scheitelte mein Haar bald so, bald so, bevor ich zufrieden war. Tristan hatte sich zum Garderobier ernannt und transportierte den Anzug, der noch heiß von Mrs. Halls Bügeleisen war, mit zärtlicher Sorgfalt die Treppe hinauf. Dann assistierte er mir wie ein professioneller Kammerdiener bei der Ankleidezeremonie. Der hohe Kragen machte am meisten Schwierigkeiten, und ich fluchte halb erstickt, als Tristan die Haut meines Halses unter dem Kragenknopf einklemmte.
    Endlich war ich fertig. Tristan ging mehrere Male um mich herum, zupfte hier und klopfte dort, um den Sitz des Anzugs noch zu verbessern. Zuletzt baute er sich vor mir auf und musterte mich von vorn. Nie zuvor hatte ich ihn so ernst gesehen. »Fein, Jim, fein. Sie sehen großartig aus. Vornehm, wissen Sie. Nicht jeder kann einen Smoking tragen – viele Leute sehen darin wie Zauberkünstler aus, aber Sie nicht. Warten Sie, ich bringe gleich Ihren Mantel.«
    Ich hatte gesagt, daß ich Helen um sieben Uhr abholen würde. Als ich in der Dunkelheit vor ihrem Haus aus dem Auto stieg, verspürte ich ein seltsames Unbehagen. Wenn ich sonst zu den Aldersons kam, dann kam ich als Tierarzt, als Experte, als Helfer in Notfällen. Ich hatte mir noch nie klargemacht, wie sehr das jedesmal, wenn ich ein Gehöft betrat, mein Selbstbewußtsein stärkte. Diesmal aber war die Situation anders. Ich kam, um die Tochter des Hofbesitzers auszuführen. Vielleicht mochte er das nicht und ärgerte sich darüber.
    Als ich vor der Tür stand, holte ich tief Luft. Die Nacht war sehr dunkel und still. Kein Laut drang aus den großen Bäumen, und nur das ferne Rauschen des Darrow störte die Stille. Die schweren Regengüsse der letzten Zeit hatten den gemächlich dahinströmenden Fluß in einen brausenden Sturzbach verwandelt, der stellenweise über die Ufer getreten war und die umliegenden Wiesen überflutete.
    Mr. Alderson las den Farmer and Stockbreeder. Er hatte seine Breeches aufgeschnürt, die Stiefel ausgezogen und streckte die bestrumpften Füße einem Stapel lodernder Holzklötze entgegen. Über seine Brille hinweg sah er zu mir auf.
    »Kommen Sie rein, junger Mann, und setzen Sie sich ans Feuer«, sagte er unbeteiligt.
    Ich hatte den peinlichen Eindruck, daß es für ihn weder neu noch aufregend war, wenn junge Leute bei ihm aufkreuzten, die zu seiner ältesten Tochter wollten.
    Ich setzte mich in den anderen Sessel vor dem Kamin, und Mr. Alderson nahm die Lektüre des Farmer and Stockbreeder wieder auf. Das schwerfällige Tick-tack der großen Wanduhr dröhnte durch das Schweigen. Ich starrte in die rote Tiefe des Feuers, bis meine Augen zu schmerzen begannen; dann betrachtete ich ein großes, goldgerahmtes Ölgemälde über dem Kamin. Es stellte struppiges Vieh dar, das knietief in einem ungewöhnlich blauen See stand; dahinter ragten furchteinflößende, unwahrscheinliche Berge auf, über deren zackigen Gipfeln grüngelber Dunst hing.
    Nach einiger Zeit wandte

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