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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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über den Marktplatz zu fahren.«
    Dabei war es geblieben. Schließlich gehörte der Wagen meinem Chef, und ich hatte zu warten, bis er etwas unternahm. Nun stand ich hier oben und blickte die steile Straße hinab. Das vernünftigste wäre natürlich gewesen, nach Darrowby zurück und auf der unteren Straße nach Worton zu fahren. Dort drohte keine Gefahr. Aber es bedeutete einen Umweg von fast zehn Meilen, und ich konnte den Kleinbauernhof, den ich besuchen wollte, tausend Fuß unter mir liegen sehen. Das Kalb, das an Gelenkentzündung litt, war in dem Schuppen mit der grünen Tür – und da kam auch gerade der alte Mr. Robinson aus dem Haus und stapfte mit einem Eimer über den Hof. Alles schien zum Greifen nahe.
    Ich mußte mich entscheiden: zurück nach Darrowby oder geradewegs den Berg hinunter? Jeden Tag saß ich so wie jetzt mit Herzklopfen auf einem Berghang und kämpfte mit mir selbst. Und wie immer warf ich auch diesmal den Motor an und nahm den direkten Weg bergab.
    Es ist erstaunlich, welche Geschwindigkeit man im ersten Gang erreichen kann, wenn einen nichts zurückhält, und als die erste Kurve auf mich zuschoß, stieß der Motor ein kreischendes Protestgeschrei aus. In der Kurve riß ich das Steuer nach rechts, die Reifen drehten sich ein paar Sekunden lang in den Steinen und der losen Erde am Rande des Abgrunds, dann hatte ich es geschafft.
    Jetzt kam ein längerer, sogar noch steilerer Streckenabschnitt. Als ich in die Kurve hineinsauste, schien mir der Gedanke, das Steuer bei dieser Geschwindigkeit herumzureißen, hirnverbrannt, aber wenn ich es nicht tat, flog ich unweigerlich in den Abgrund. Voller Entsetzen schloß ich die Augen und drehte das Lenkrad mit aller Kraft nach links. Diesmal hob sich die eine Seite des Wagens vom Boden, und ich war sicher, er würde umkippen, doch dann fiel er auf die rechten Räder und blieb ein paar schreckliche Sekunden in der Schwebe, bevor er sich entschloß, aufrecht weiterzufahren.
    Wieder ein fast senkrechtes Gefälle. Aber als der Wagen mit brüllendem Motor abwärts raste, überkam mich eine merkwürdige Gleichgültigkeit. Ich hatte anscheinend die äußerste Grenze der Angst überschritten; jedenfalls nahm ich die dritte Kurve kaum wahr. Die Strecke wurde flacher; meine Geschwindigkeit verringerte sich rapide, und in der letzten Kurve hatte ich höchstens zwanzig Stundenmeilen drauf. Ich hatte es geschafft.
    Erst in diesem Augenblick sah ich die Schafe. Es waren Hunderte, und sie füllten die ganze Breite der Straße. Ein Strom wolliger Rücken wälzte sich zwischen den Mauern dahin. Die Tiere waren nur ein paar Yards von mir entfernt, und ich fuhr noch immer bergab. Ohne zu zögern, riß ich das Steuer herum und fuhr direkt in die Mauer hinein.
    Der Schaden war unerheblich. Ein paar Steine rutschten herunter, als der Austin gegen die Mauer prallte.
    Langsam ließ ich mich in meinen Sitz zurücksinken, meine zusammengepreßten Kinnbacken entkrampften sich, meine Finger, die um das Steuer geklammert waren, lockerten ihren Griff. Die Schafe strömten an mir vorbei, und ich warf einen scheuen Blick auf den Schäfer. Er war mir fremd, und ich betete, er möge mich ebenfalls nicht kennen. Das beste war, gar nichts zu sagen; in einer Kurve aufzutauchen und absichtlich gegen eine Mauer zu fahren ist nicht gerade eine Basis für eine fruchtbare Unterhaltung.
    Ich hörte, wie der Mann seine Hunde rief: »Weiter, Jess. Komm, Nell.« Aber ich blickte starr auf die Steine vor mir, obwohl er ganz dicht an mir vorbeiging. Die meisten Leute hätten mich vermutlich gefragt, was zum Teufel da passiert sei, aber ein Schäfer aus den Dales tut so etwas nicht. Der Mann ging schweigend weiter, aber als ich nach ein paar Sekunden in den Rückspiegel blickte, sah ich, daß er mitten auf der Straße stand und mich interessiert beobachtete.
    An meine bremsenlose Zeit erinnere ich mich nach wie vor mit besonderer Deutlichkeit. Ich glaube, sie dauerte nur ein paar Wochen, aber wahrscheinlich hätte sie nie ein Ende genommen, wäre Siegfried nicht selbst davon betroffen worden.
    Eines Tages machten wir einen gemeinsamen Besuch. Aus irgendeinem Grund beschloß er, meinen Wagen zu nehmen und selbst zu fahren. Ich hockte angstvoll neben ihm, als er in seinem üblichen Tempo losbrauste.
    Hinchcliffes Hof liegt etwa eine Meile von Darrowby entfernt an der Hauptstraße. Es ist ein großes Anwesen mit einer breiten, geraden Zufahrt zum Haus. Wir wollten gar nicht zu diesem Hof, aber als

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