Der Doktor und das liebe Vieh
Tetanus, und das war’s.«
Ich packte gerade meine Instrumente ein, als der Stallknecht wieder auf mich zukam. »Wetten Sie auf Pferde?« fragte er.
Ich lachte. »Nein, so gut wie nie. Ich verstehe zuwenig davon.«
»Das macht nichts.« Der kleine Mann blickte sich um und dämpfte die Stimme. »Ich werde Ihnen sagen, auf wen Sie heute nachmittag setzen müssen. Kemal beim ersten Rennen. Er ist aus unserem Stall und wird sicherlich gewinnen. Da kann ein schönes Stück Geld für Sie herausspringen.«
»Danke für den Tip. Ich werde eine halbe Krone auf ihn setzen.«
Das derbe kleine Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. »Nein, nein, setzen Sie einen Fünfer. Kemal schafft’s, verlassen Sie sich darauf. Behalten Sie’s für sich, aber setzen Sie einen Fünfer.«
Er ging schnell fort.
Ich weiß nicht, weshalb, aber ich beschloß, seinen Rat zu befolgen. Das heisere Geflüster des kleinen Mannes und die unerschütterliche Zuversicht in seinen schwarzen Augen hatten suggestiv auf mich gewirkt. Der kleine Bursche wollte mir etwas Gutes tun. Mir war nicht entgangen, daß er auf meine alte Jacke und die zerknitterte Flanellhose gestarrt hatte, die sich so sehr von der eleganten Kleidung des typischen Pferdearztes unterschieden. Vielleicht dachte er, ich brauchte Geld.
In Darrowby hob ich von meinem Konto bei der Midland Bank fünf Pfund ab – etwa die Hälfte meines verfügbaren Kapitals. Dann beeilte ich mich mit den restlichen Besuchen, aß schnell ein paar Bissen und zog meinen besten Anzug an. Ich hatte noch reichlich Zeit, zur Rennbahn zu fahren und vor dem ersten Rennen um zwei Uhr dreißig meinen Fünfer auf Kemal zu setzen.
Das Telefon klingelte genau in dem Augenblick, als ich das Haus verlassen wollte. Es war Mr. Sidlow. Eine seiner Kühe litt an Durchfall und mußte sofort behandelt werden. Na, wunderbar, dachte ich mißmutig. Ausgerechnet jetzt, da meine Hoffnungen sich erfüllen sollten, hinderte mich dieser alte Unglücksbringer, dem Glück nachzujagen. Obendrein war es ein Samstagvormittag, das paßte auch wunderbar. Aber vielleicht klappte es trotzdem – der Hof lag in der Nähe von Brawton, und gewiß würde es nicht lange dauern, die Kuh zu behandeln; ich konnte es immer noch schaffen.
Meine gewählte Kleidung löste bei der versammelten Familie scheele Blicke aus. Mr. Sidlows zusammengepreßte Lippen und kerzengerade Schultern deuteten an, daß er bereit sei, meinen Besuch mutig zu ertragen.
Ich war wie betäubt, als wir den Kuhstall betraten. Und dieser Zustand hielt an, während Mr. Sidlow mir schilderte, wie er seit Monaten gegen die periodisch wiederkehrenden Anfälle von Diarrhö bei dieser Kuh gekämpft hatte. Nach dem ersten, harmlosen Versuch mit zerriebenen Eierschalen in Haferschleim hatte er sich allmählich bis zu seinem stärksten Mittel durchgearbeitet: Kupfervitriol und Löwenzahntee. Aber nichts davon hatte geholfen. Ich hörte ihm kaum zu, denn mir war klar, daß die Kuh an der Johneschen Krankheit litt.
Mit absoluter Sicherheit ließ sich das natürlich nicht sagen, aber die starke Abmagerung des Tieres und der sprudelnde Durchfall, dessen Zeuge ich beim Eintritt geworden war, lieferten nahezu einwandfrei die Diagnose. Instinktiv packte ich den Schwanz der Kuh und stieß ihr mein Thermometer in den After. Die Temperatur interessierte mich nicht sonderlich, aber ich brauchte ein paar Minuten zum Nachdenken.
Diesmal hatte ich jedoch höchstens fünf Sekunden zur Verfügung, denn unversehens entglitt das Thermometer meinen Fingern. Ein plötzlicher Sog hatte es nach innen gezogen. Ich fuhr mit den Fingern in den Mastdarm – nichts. Ich faßte mit der ganzen Hand hinein – vergebens. Ein Gefühl der Panik überkam mich. Hastig krempelte ich den Hemdsärmel auf und tastete nach dem Thermometer – ohne Erfolg.
Es half nichts, ich mußte um heißes Wasser, Seife und ein Handtuch bitten und mich ausziehen wie für einen komplizierten Eingriff. In meinen dreißig Jahren Praxis hat es viele Gelegenheiten gegeben, bei denen ich wie ein kompletter Idiot aussah, aber an diese Situation bewahre ich eine besonders schreckliche Erinnerung: Nackt bis zu den Hüften im Zentrum feindseliger Blicke stehend, wühlte ich verzweifelt in der Kuh herum. Ich war nur eines Gedankens fähig: Dies ist der Sidlow-Hof, alles kann hier passieren. In meiner geistigen Verwirrung hatten sich alle Kenntnisse von Pathologie und Anatomie in nichts aufgelöst, und ich stellte mir vor, wie sich die
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