Der Doppelgänger
dabei? Na, gar nichts. Ich werde still für mich leben, als ob ich es gar nicht wäre,« dachte Herr Goljadkin; »ich werde alles fahren lassen; ich bin es nicht, Punktum. Er wird ebenfalls still für sich leben und vielleicht auch verzichten; er wird scherwenzeln, der Halunke, wird scherwenzeln und sich hin und her drehen; aber er wird doch verzichten. So muß es gemacht werden! Ich werde durch Demut siegen. Und wo ist denn eine Gefahr? Nun, was für eine Gefahr besteht denn? Ich möchte wohl, daß mir jemand nachwiese, wo bei dieser Angelegenheit eine Gefahr steckt. Das Ganze ist eine Lumperei, eine ganz gewöhnliche Geschichte! ...« Hier stockte Herr Goljadkin in seinen Überlegungen; die Worte erstarben ihm auf der Zunge; er schalt sich sogar für diesen Gedanken aus und klagte sich niedriger Gesinnung und arger Feigheit wegen dieses Gedankens an; aber seine Sache kam trotzdem nicht vom Fleck. Er fühlte, daß es im gegenwärtigen Augenblicke für ihn dringend notwendig war, sich zu irgend etwas zu entschließen; er hatte sogar die Empfindung, daß er demjenigen viel geben würde, der ihm sagte, wozu er sich eigentlich entschließen müsse. Na, aber wie sollte er das erraten? Übrigens hatte er auch keine Zeit, sich mit Raten abzugeben. Auf jeden Fallnahm er, um keine Zeit zu verlieren, eine Droschke und fuhr schnell nach Hause. »Nun? Wie fühlst du dich jetzt?« dachte er bei sich; »wie ist dir jetzt zumute, Jakow Petrowitsch? Was wirst du machen? Was wirst du jetzt anfangen, du Schuft, du Halunke? Da hast du dich nun in die ärgste Lage gebracht, und jetzt weinst du, jetzt winselst du!« So verhöhnte Herr Goljadkin sich selbst, während er auf dem Sitze der rüttelnden und stoßenden Equipage seines Rosselenkers auf- und niederhüpfte. Sich zu verhöhnen und in dieser Weise seine Wunden aufzureißen war in diesem Augenblicke für Herrn Goljadkin eine Art von hohem Genusse, ja beinah eine Wonne. »Na, wenn jetzt«, dachte er, »irgendein Zauberer käme oder es sich auf amtlichem Wege so gestaltete, daß man mir sagte: ›Goljadkin, gib einen Finger von deiner rechten Hand her, dann sollst du quitt sein; es soll dann keinen andern Goljadkin geben, und du wirst glücklich sein; nur den Finger wirst du nicht mehr haben,‹ – dann würdest du den Finger hingeben; du würdest ihn unbedingt hingeben, würdest ihn hingeben, ohne die Stirn zu runzeln. Hol der Teufel diese ganze Geschichte!« rief der verzweifelte Titularrat schließlich. »Wozu ist denn das alles passiert? Daß das alles auch passieren mußte, gerade das, ausgerechnet das, als ob nicht irgend etwas anderes hätte passieren können! Und alles war vorher gut; alle waren zufrieden und glücklich; aber nein, es mußte dies passieren! Übrigens ist mit Worten dabei nicht zu helfen. Da muß gehandelt werden!«
So hatte Herr Goljadkin, als er seine Wohnung betrat, sich schon beinah zu irgend etwas entschlossen; ohnezu zaudern griff er nach seiner Pfeife, und aus Leibeskräften daran saugend und Rauchwolken nach rechts und links ausstoßend, begann er in großer Aufregung in seinem Zimmer hin und her zu laufen. Unterdessen fing Petruschka an, den Tisch zu decken. Endlich war Herr Goljadkin mit seinem Entschlusse ins reine gekommen; er warf plötzlich die Pfeife hin, zog sich den Mantel an, sagte, er werde nicht zu Hause zu Mittag essen, und lief aus der Wohnung. Auf der Treppe holte ihn Petruschka ganz atemlos ein, der den von ihm vergessenen Hut in der Hand hielt. Herr Goljadkin nahm den Hut hin und wollte sich so obenhin mit ein paar Worten vor Petruschka entschuldigen, damit dieser nicht auf irgendwelche besonderen Gedanken käme (er wollte sagen, es sei etwas Derartiges vorgefallen, daß es einem leicht passieren könne, den Hut zu vergessen usw.); aber da Petruschka ihn nicht einmal ansehen mochte, sondern sogleich wieder wegging, so setzte auch Herr Goljadkin ohne weitere Auseinandersetzungen seinen Hut auf und lief die Treppe hinunter. Er sagte sich, vielleicht werde alles sich gut gestalten und die Sache sich irgendwie zurechtschieben, und obwohl er die erfrorenen Stellen an seinen Fersen unangenehm fühlte, trat er auf die Straße hinaus, nahm sich eine Droschke und fuhr schnell zu Andrei Filippowitsch. »Wäre es übrigens nicht besser, es bis morgen zu lassen?« dachte Herr Goljadkin, während er nach dem Klingelzuge an Andrei Filippowitschs Entreetür griff. »Was habe ich ihm denn auch eigentlich Besonderes zu sagen? Etwas Besonderes liegt
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