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Der Dorfpfarrer (German Edition)

Der Dorfpfarrer (German Edition)

Titel: Der Dorfpfarrer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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geschieht alles, was die Regierungsaktion, die Wahl der Männer und Dinge angeht, schnell, während man sich bei uns in allem viel Zeit läßt, und dabei sind sie langmütig und wir ungeduldig. Bei ihnen ist man in Gelddingen kühn und vielbeschäftigt, bei uns ängstlich und mißtrauisch-langsam. Was Monsieur Grossetête über die industriellen Verluste gesagt hat, die der, Bauer Frankreich verursacht, findet seinen Beweis in einem Gemälde, das ich Ihnen in zwei Worten schildern will. Durch sein ständiges Rollen hat das englische Kapital für zehn Milliarden industrielle Werte und Rente bringende Aktien geschaffen, während das französische Kapital, das an Reichtum ihm überlegen ist, nicht den zehnten Teil davon geschaffen hat.«
    »Das ist um so ungewöhnlicher,« sagte Roubaud, »als sie lymphatisch und wir im allgemeinen sanguinisch oder nervös sind.«
    »Das, mein Herr,« sagte Clousier, »ist eine große Frage, die untersucht werden müßte. Institutionen müßte man finden, die geeignet wären, dem Temperament eines Volkes zu steuern. Wahrlich, Cromwell war ein großer Gesetzgeber. Er allein hat das heutige England geschaffen, indem er die ›Navigationsakte‹ erfand, welche die Engländer zu Feinden aller anderen Nationen gemacht und ihnen einen trotzigen Stolz, ihren Stützpunkt, eingeimpft hat. Wenn aber Frankreich und Rußland die Rolle des Schwarzen- und Mittelmeeres begriffen, würde trotz ihrer Zitadelle von Malta der mittels der neuen Entdeckungen regulierte Weg nach Asien über Aegypten oder den Euphrat, England eines Tages töten, wie ehedem die Entdeckung des Kaps der guten Hoffnung Venedig getötet hat.«
    »Und nichts von Gott!« rief der Pfarrer.
    »Monsieur Clousier und Monsieur Roubaud sind gleichgültig in Religionsdingen ... Und Sie, mein Herr?« sagte er, sich an Gérard wendend.
    »Protestant«, antwortete Grossetête.
    »Sie hatten es erraten!« rief Véronique, den Pfarrer anblickend, während sie Clousier ihre Hand reichte, um zu sich hinaufzugehen.
    Die Vorurteile, die Monsieur Gérards Aeußeres gegen ihn aufkommen ließen, hatten sich schnell zerstreut und die drei Notabeln von Montégnac beglückwünschten sich zu einer solchen Erwerbung.
    »Unglücklicherweise«, sagte Monsieur Bonnet, »existiert zwischen Rußland und den katholischen Ländern, die das Mittelmeer bespült, ein Antagonismus- Grund in dem wenig bedeutenden Schisma, das die griechische von der lateinischen Religion trennt, und das ein großes Unglück für die Zukunft der Menschheit bedeutet.«
    »Jeder predigt für seinen Heiligen,« sagte lächelnd Madame Graslin. »Monsieur Grossetête denkt an verlorene Millionen; Monsieur Clousier an das umgestürzte Recht; der Arzt sieht in der Gesetzgebung eine Temperamentfrage; der Herr Pfarrer erblickt in der Religion ein Hindernis für die russisch-französische Verständigung.«
    »Fügen Sie hinzu, Madame,« sagte Gérard, »daß ich in dem Sparstrumpf des Kleinbürgers und Bauern die Aufschiebung des Eisenbahnbaus in Frankreich sehe...«
    »Was wünschten Sie also?« sagte sie.
    »Oh, die bewunderungswürdigen Staatsräte, die unter dem Kaiser die Gesetze erwogen, und jene ebensowohl von den fähigen Köpfen des Landes wie von den Grundbesitzern erwählte gesetzgebende Körperschaft, deren einzige Rolle darin bestand, sich schlechten Gesetzen oder Kriegen aus Laune zu widersetzen. So wie die Deputiertenkammer heute konstituiert ist, wird sie, Sie werden sehen, etwas regieren, was die gesetzliche Anarchie darstellen wird!«
    »Mein Gott,« rief der Pfarrer in einer Anwandlung heiligen Patriotismus', »wie kommt es, daß solch aufgeklärte Geister wie die hier« – und er zeigte auf Clousier, Roubaud und Gérard – »das Uebel sehen, auf die Heilung hinweisen und nicht damit beginnen, es bei sich selber anzuwenden? Sie alle, die Sie die angegriffenen Klassen repräsentieren, erkennen die Notwendigkeit des passiven Gehorsams der Massen im Staate wie im Kriege bei den Soldaten an; Sie wollen die Einheit der Macht und wünschen, daß sie nie in Frage gestellt werde. Was England durch die Entwicklung des Stolzes und des menschlichen Eigennutzes, die ein Glaube sind, erlangt hat, kann man hier nur durch die dem Katholizismus schuldigen Gefühle erlangen, und Sie sind keine Katholiken! Ich, ein Priester, gebe meine Rolle auf und klügele mit den Klüglern! Wie sollen die Massen religiös und gehorsam werden, wenn sie die Irreligion und die Undiszipliniertheit über sich

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