Der Dorfpfarrer (German Edition)
Madame Graslin.
»Ja, Madame.«
Véronique blickte Cathérine einen Moment an. Das Mädchen war wohlgebaut, ziemlich groß und blaß und besaß übermäßig sanfte Züge, welche die schöne graue Nuance ihrer Augen nicht Lügen strafte. Die Gesichtsform, der Schnitt der Stirn zeigten einen zugleich erhabenen und einfachen Adel, den man manchmal auf dem Lande bei sehr jungen Mädchen trifft, eine Art Jugendschmelz, den die Arbeiten auf dem Felde, ständige Haushaltssorgen, Sonnenbrand, Mangel an Pflege mit erschreckender Schnelligkeit zerstören. Ihre Haltung kündigte jene Ungezwungenheit in den Bewegungen an, die Landmädchen charakterisiert, und welche die unwillkürlich angenommenen Pariser Gewohnheiten noch anmutiger gemacht hatten. Wenn Cathérine in der Corrèze geblieben wäre, würde sie gewißlich schon runzlich und verblüht gewesen, ihre ehedem lebhaften Farben würden schon zu kräftig geworden sein, Paris aber hatte, indem sie sie blaß gemacht, ihre Schönheit bewahrt. Krankheit, Ermüdungen und Gram hatten sie mit den geheimnisvollen Gaben der Melancholie und jenes intimen Gedankens, der den armen, an ein beinahe animalisches Leben gewöhnten Landleuten abgeht, begabt. Ihre Kleidung, ganz in jenem Pariser Geschmack gehalten, den alle Frauen, selbst die weniger gefallsüchtigen, so schnell sich zu eigen machen, unterschied sie auch noch von den Bäuerinnen. In der Ungewißheit, wie sich ihr Los gestalten würde, und in ihrer Unfähigkeit, Madame Graslin zu beurteilen, zeigte sie sich ziemlich verschämt.
»Lieben Sie Farrabesche noch immer?« fragte Véronique sie, als Grossetête sie einen Augenblick alleingelassen hatte.
»Ja, Madame,« antwortete sie errötend.
»Warum sind Sie, wenn Sie ihm tausend Franken während der Zeit, die seine Strafe gewährt, geschickt haben, nicht zu ihm gekommen, als er entlassen wurde? Hatten Sie einen Widerwillen vor ihm? Sprechen Sie zu mir wie zu Ihrer Mutter. Hatten Sie Furcht, daß er gänzlich verdorben worden wäre, daß er nichts mehr von Ihnen wissen wollte?«
»Nein, Madame; aber ich konnte weder schreiben noch lesen und diente einer sehr anspruchsvollen alten Dame; die war krank geworden, man wachte bei ihr, ich mußte sie pflegen. Indem ich immer damit rechnete, daß der Augenblick von Jacques Freilassung sich näherte, konnte ich Paris erst nach dem Tode jener Dame verlassen, die mir trotz meiner Sorge für ihre Interessen und ihre Person nichts vermacht hat. Ehe ich zurückkehrte, wollte ich mich von einer Krankheit heilen, welche die Nachtwachen und der Kummer, dem ich mich überlassen, verursacht hatten. Nachdem ich meine Ersparnisse aufgezehrt, mußte ich mich entschließen, ins Saint-Louis-Hospital zu gehen, aus dem ich als geheilt entlassen bin.«
»Schön, mein Kind,« sagte Madame Graslin, bewegt von dieser so einfachen Erklärung. »Aber sagen Sie mir jetzt, warum sind Sie so jäh, von Ihren Eltern fortgegangen, warum haben Sie Ihr Kind aufgegeben, warum haben Sie nichts von sich hören, nicht jemanden für Sie schreiben lassen? ...«
Statt jeder Antwort weinte Cathérine.
»Madame,« sagte sie, durch einen Druck von Véroniques Hand beruhigt, »ich weiß nicht, ob ich unrecht habe, aber es ging über meine Kräfte, im Lande zu bleiben. An mir zweifelte ich nicht, aber an den anderen; ich hatte Furcht vor Redereien und vor Geschwätz. Solange Jacques hier Gefahr lief, war ich ihm nötig; als er aber fort war, fühlte ich mich ohne Kraft. Mädchen mit einem Kind sein und keinen Mann haben! Das übelste Geschöpf würde mehr gegolten haben als ich ... Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich das geringste Wort gegen Benjamin oder seinen Vater hätte sagen hören. Ich würde mich selbst umgebracht haben, wäre verrückt geworden. Mein Vater oder meine Mutter konnten mir in einem Moment des Zorns einen Vorwurf machen. Ich bin zu lebhaft, um einen Zank oder eine Beleidigung ertragen zu können, ich, die ich so sanft bin! Ich bin recht bestraft worden, da ich mein Kind nicht habe sehen können, ich, die ich nicht einen Tag hingebracht habe, ohne an es zu denken! Ich wollte vergessen sein und bin's gewesen. Niemand hat an mich gedacht. Man hat mich für tot gehalten, und doch habe ich viele Male alles in Stich lassen wollen, um einen Tag hier zu verbringen und meinen Kleinen zu sehen ...«
»Ihren Kleinen, da, Cathérine, sehen Sie ihn an!«
Cathérine erblickte Benjamin und wurde wie von einem Fieberschauer
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