Der Drache am Himmel
säßen sie auch in den Kulturgremien der Stadt.
Dass das Fest nur langsam in Fahrt kam, wunderte mich im Grunde nicht. Wie kann man bloß auf die Idee kommen, ausgerechnet im Herbst ein Karnevalsfest um ein Schwimmbad herum zu inszenieren? Für mich persönlich war die Gartenparty jedoch ein Erfolg. Die anfängliche Befangenheit verging mir beim Rollen- und Versteckspiel mit den Bellini-Kindern. Fabio ist zwölf, Fiona zehn. Der Junge voller Wut, das Mädchen die Schüchternheit in Person. Unser Spiel aber haben beide genossen, glaube ich. Jedenfalls legten sich ihre Hemmungen schnell. Sie kamen aus sich heraus, wurden fröhlich, lachten … Ich spürte genau, dass ihre Mutter uns beobachtete. Las Erstaunen und Freude in Carla Bellinis Gesicht. Nach diesem gelungenen Einstieg konnte ich schnell Fuß fassen. Ich spürte, dass es mir gelang, vor so vielen neuen Menschen, darunter auch (wie Rosa es ausdrückte) den Häuptlingen der Stadt , zu bestehen. Ich konnte sein, was ich mir vorgenommen hatte: zurückhaltend, vertrauenswürdig, freundlich und freundschaftlich. (Stufen Sie mich bitte jetzt nicht gleich als überheblich ein.)
Ich bin eins sechsundachtzig groß, schlank, mit sportlichem Körper und männlich markanten Gesichtszügen, dunkelblond. Am Büfett sagte Aldo Bellini zu mir, ich erinnere ihn an diesen amerikanischen Schauspieler, Steve oder – aber lassen wir das. Es war zweifellos als Kompliment gemeint.
Es ist ja verpönt, sich selbst in ein gutes Licht zu rücken. Mit einer gewissen Verlegenheit zitiere ich also, was mir in den ersten Monaten in der Stadt als Lob angedient worden ist: Ich hätte Geduld und Humor. Ich hätte einen guten Draht zu Kindern. Ich sei aufmerksam auch in kleinen Dingen. Ich sei gebildet, trumpfe damit aber nie auf. Ich tanze ausgezeichnet. Freundlich sei meine Wesensart. Rundum vertrauenswürdig, dieser Lauterbach. Man schätze meine intellektuelle Präsenz und mein bescheidenes Verhalten sei angenehm, auch solches hörte ich – glauben Sie mir, dass ich auf alle diese Charakterzüge nicht stolz bin; erworben im landläufigen Sinne habe ich sie ja nicht. (Im Übrigen lobt mich Barbara als zärtlichen, phantasievollen Liebhaber.)
Nur meine Stieftochter Lilith scheint das alles ein bisschen anders zu sehen. Durch furniertes Türholz habe ich sie nämlich einmal sagen hören: »Henry ist total aseptisch! Ich möchte bloß wissen, was an dem echt ist.« (Sie kann nicht mal ahnen, wie wund der Punkt ist, den sie damit getroffen hat. Vieles der sogenannten Psychologie, aber auch gewisse Gefühle sind mir vollkommen fremd. Und je mehr mir das bewusst wird, desto irritierter bin ich.)
Gleichsam von Kanada kommend, landete ich in Amsterdam, nahm mir einen Mietwagen und fuhr damit so lange durch Mitteleuropa, bis ich mich entschieden hatte, wo ich mich niederlassen wollte. Ich entschied mich für München und mietete eine prächtige Wohnung mit Blick auf die Frauenkirche. Um mir eine berufliche Existenz zu schaffen, gründete ich einen Verlag für esoterisches Schrifttum und eröffnete gleichzeitig eine Buchhandlung. Kaum war meine Homepage im Netz, brach eine Art Sintflut über mich herein. Ich meine damit, dass ich mit Manuskripten nur so überschüttet wurde. Wobei mich zwei Dinge besonders überraschten: Wie viele Menschen schreiben, obwohl es ihnen gar nicht liegt, und wie unbeliebt die Aufklärung auch heute noch ist. Nächtelang las ich, um die Spreu vom Weizen zu trennen, also das Unverkäufliche vom Verkäuflichen … Ob mit Glück oder Spürsinn – nach einem Jahr gelang mir der erste Bestseller. Sieben Walpurgisnächte hieß er, geschrieben von einem Medium, einer dreißigjährigen Frau. Hexen des Mittelalters seien mit ihr in Kontakt getreten, um ihr geheimes Wissen anzuvertrauen. Bereits in den ersten drei Monaten verkaufte sich das Buch hunderttausendfach. Die Ausgaben in Frankreich, Japan und Südamerika erreichten insgesamt eine Auflage von mehr als drei Millionen Exemplaren. Der Folgeband Die letzte Walpurgisnacht wurde ein noch größerer Erfolg. Aber damit will ich es bewenden lassen, dies ist kein Geschäftsbericht. Nur das noch: Auch meine Buchhandlung florierte und ich eröffnete Zweigstellen in Frankfurt, Berlin, Zürich, Wien, Hamburg und, man mag sich wundern, in Hilden.
Barbara trat in mein Leben, indem … na ja, indem sie meine Buchhandlung betrat. Eigentlich schon auf dem Weg in die Tiefgarage war ich nur noch im Laden, weil ich mich mit der
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