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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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und nutzte die Zeit auch, sie zu betrachten. Zweifellos war sie eine sehr gut aussehende, gepflegte Frau. In ihrer Mimik spielte eine feine Herzlichkeit. Zugleich hatte sie eine irgendwie luxuriöse Ausstrahlung. Lag es an ihrer makellosen Haut? An den aufgehellten Kringeln, voller Raffinesse in ihre dunkelbraune Mähne gezaubert? Oder war es das warme, dunkle Timbre ihrer Stimme? In einem warmen dunklen Rot war auch ihr Mund geschminkt. Alles an ihr war stimmig – aber nicht ganz. Es fehlte die Selbstverständlichkeit. Um ihre Augen flimmerten Spuren von Angestrengtheit … Vielleicht gehört sie zu jenen Menschen, die Lebensfreude und Identität fast ausschließlich aus ihrer Schönheit beziehen, dachte ich. Kommen die Jahre und die Falten, bricht das Selbstvertrauen weg.
    »Sie haben wundervolle Kinder, Carla.« Ich hatte plötzlich das Bedürfnis, ihr etwas Gutes zu sagen.
    »Kinder wie andere auch«, erwiderte sie lächelnd.
    »Ich habe mich von den beiden jedenfalls sehr akzeptiert gefühlt. Und Fiona spielte ihre Figuren einfach hinreißend. Sie hat wirklich Talent. Wird eines Tages bestimmt den Oscar in den Händen halten und freudestrahlend ihrer lieben Mum danken!«
    Carla nahm meinen Ulk nicht auf, sondern fragte ganz ernsthaft: »Und was sehen Sie … siehst du für Fabio voraus?«
    »Ich wage mal die Prognose: ein Kämpfer für die Gerechtigkeit, ein leidenschaftlicher Anwalt der Unterdrückten und Entehrten! Aber das Leben macht ja bekanntlich, was es will, und zum Schluss wird Fiona Anwältin und Fabio ist bei der Lufthansa, wer weiß.« Das sagte ich in heiterem Plauderton. Für Carla aber war die Gerechtigkeit ein ernstes Stichwort. Als Schöffin bekomme sie immer mehr Zweifel, ob es so etwas wie Gerechtigkeit überhaupt gebe. Sie seufzte. »Recht ist nicht Gerechtigkeit. Es gibt Menschen ohne Chance.«
    »Weil sie vom Pech verfolgt werden?«
    »Weil sie in einem Teufelskreis stecken.«
    Ich konnte mir unter dieser Metapher einiges vorstellen, nicht zuletzt, weil ich eben erst als Tanzbär vorgeführt, sprich: von Rosa im Kreis herumgeschleudert worden war … Aber Carla meinte natürlich nur, dass aus Elend wieder Elend entstehe. Ob sie demnach eine gnädige Richterin sei, wollte ich wissen. Sie schaute mich verdutzt an und ließ ihren Blick umherschweifen, als hinge irgendwo ein Schild mit der Antwort, das sie nur finden müsste. Und sie murmelte: »Niemand ist freiwillig böse. Wer betrügt, ist vorher immer getäuscht worden. Und wer tötet, war zuvor selbst nie lebendig. Ich meine damit nicht die sogenannten bösen Umstände und schlechten Verhältnisse. Nein, ich spreche von Defiziten. Üble Kerle sind deshalb so übel, weil sie etwas kompensieren. Weisen immer das gleiche Manko auf: zu wenige Menschen, die ihnen ohne Berechnung einfach Gutes wollten.«
    So sah sie das also. Charakter als Summe geschenkter Zuwendungen. Traf man auf hinreichend wohlmeinende Menschen, entging man dem Bösen. Traf man zu wenige davon, geriet man ins Schleudern. »Also ist auch niemand freiwillig gut? Sondern hatte einfach nur Glück?«
    »So ungefähr«, murmelte sie.
    »Besonders gerecht kommt mir das aber nicht vor.«
    Da musste sie lachen. »Wo lebst du denn? Was soll schon gerecht sein an dieser Welt? Schau dich doch nur mal hier um. Hältst du es etwa für gerecht, dass all diese schönen, wohlhabenden Menschen hier so schön und reich sind?«
    »Du meinst, sie hätten einfach Glück gehabt?«
    Sie musterte mich fast misstrauisch: »Ob es von Glück spricht, reich zu sein?«
    Ich wies auf den Park: »Du müsstest es eigentlich wissen.«
    »Ja, wir Bellinis haben mehr als genug. Deshalb kann ich mir auch kein Jammern leisten. Denn nichts finde ich unanständiger als Vermögende, die vom vermeintlichen Glück eines bescheidenen Lebens schwärmen. Aber ich bilde mir nicht ein, dass ich dieses Leben verdient habe. Ich habe nichts dazu getan. Weil ich als junge Frau doch ziemlich schön war, fand ich einfach mit größerer Wahrscheinlichkeit einen wohlhabenden Mann. Und der wiederum hatte sein Geld von seinem erfolgreichen Vater.«
    Mir war etwas unbehaglich geworden, weil sie sich so entblößte. Wir kannten uns doch noch keine Stunde! Warum war sie mir gegenüber so offen? Andererseits beeindruckte mich ihre fast sarkastische Aufrichtigkeit auch. Das hatte ich noch selten erlebt. Die Menschen, die ich bislang kennengelernt habe, verfolgen in der Regel eine seltsame Doppelstrategie. Die Erfolge schreiben sie

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