Der Drache aus dem blauen Ei
Wäscheleine quer im Flur hing. „Drachenschule“, las Anja ihm vor.
Seine Augen wurden noch größer.
„Also, wie heißt du?“, fragte Herr Meisenbeißer.
„Lavundel Lukas“, piepste der Drache kleinlaut.
„Na, dann aber schnell, Lavundel Lukas!“, befahl Herr Meisenbeißer. „Stift und Papier auf den Tisch. Der Unterricht fängt gleich an.“
Als Anja ins Wohnzimmer trat, traute sie ihren Augen kaum. Es hatte sich in ein Klassenzimmer verwandelt. Mama, Papa, Yasemin, Alexander und Baby-Bo waren alle schon da und saßen auf kleinen Bänken vor kleinen Tischen. Vorne stand eine große Schultafel.
Als Herr Meisenbeißer eintrat, leierte die ganze Klasse im Chor: „Gu-ten Mor-gen, Herr Plus-mi-nus-qua-drat!“
„Guten Morgen“, antwortete der Lehrer. „Anja, dein Platz ist neben Yasemin. Und du, Lavundel, setzt dich ganz vorne auf diesen Tisch hier.“
Lavundel war ein bisschen schüchtern, aber dann fügte er sich und hockte sich auf den Tisch.
Der Lehrer holte eine Tüte mit Gummibärchen hervor und schüttete ein paar davon direkt vor dem Drachen auf den Tisch.
„Heute lernen wir Rechnen. Ich lege zwei Gummibärchen hin. Und dann noch drei. Ich zähle die zwei und die drei zusammen. Wie viele Gummibärchen liegen dann auf dem Tisch?“
Mama meldete sich. „Vier?“, fragte sie mit gespielter Unschuld. Alexander kicherte los.
Herr Plusminusquadrat schüttelte den Kopf. „Falsch!“
„Sieben?“, schlug Papa vor.
„Falsch!“
Jetzt hob Lavundel schüchtern den Finger.
„Ja? Lavundel Lukas?“, rief der Lehrer ihn auf.
„Fünf?“, piepste Lavundel.
„Sehr gut.“ Zufrieden nickte der Lehrer. „Das nennt man addieren. Und jetzt machen wir das ganze andersherum. Das nennt man dann subtrahieren. Hier sind fünf Gummibärchen.“ Er legte fünf Bärchen vor Lavundel auf den Tisch. „Und jetzt nehme ich zwei weg.“ Er nahm das rote und das grüne Bärchen weg. „Fünf minus zwei. Wie viele Bärchen bleiben übrig?“
Lavundel sprang auf und stürzte sich auf die Bärchen. Mit einem Happs verschlang er alle drei. „Keins!“, rief er fröhlich.
Mama und Yasemin mussten die Hände vor den Mund schlagen, um nicht laut herauszuplatzen. Trotzdem hörte man ihr Glucksen.
„Ruhe!“, donnerte der Lehrer. „Falsch!“
Papa meldete sich. „Aber Herr Plusminusquadrat“, sagte er dann. „Ich sehe kein Bärchen mehr.“
Der Lehrer grummelte. „Na gut. In diesem Fall ist die Antwort tatsächlich null“, gab er zu. Lavundel begann übers ganze Gesicht zu strahlen. Der Lehrer hob mahnend den Zeigefinger. „Aber merke dir, Lavundel: Im Unterricht wird nicht gegessen!“
Eine ganze Stunde lang mussten sie alle rechnen. Lavundel war mit Feuereifer dabei, auch wenn er sich oft verrechnete.
Dann erklang ein Gong. Herr Plusminusquadrat verabschiedete sich und ging hinaus.
„Was kommt jetzt?“, flüsterte Anja Yasemin zu. Ihre Freundin flüsterte zurück: „Deutsch.“
„Guten Morgen, liebe Schüler“, säuselte eine sanfte Stimme. „Ich bin Herr Tintenfass.“
Wieder hätte Anja Herrn Meisenbeißer kaum erkannt: Er hatte keine Brille mehr auf und die Haare hatte er sich ganz glatt nach hinten gekämmt. Er trug einen braunen Pullover und hatte sich den Bauch ausgestopft, sodass er wirklich wie ein Fass aussah. „Stifte raus, wir schreiben ein kleines Diktat“, säuselte er. Mit einem Blick auf Bo fügte er hinzu: „Wer noch nicht schreiben kann, der malt. Also, los geht’s: Im Sommer scheint die Sonne schön …“
Lavundel schrieb natürlich. Zwar schaffte er nur den ersten Satz, aber er war unheimlich stolz, als er den Punkt dahinter setzte. Als Nächstes kam die Musik an die Reihe. Dafür hatte sich Herr Meisenbeißer eine besondere Verkleidung ausgedacht. Er trug eine blonde Perücke und einen langen roten Rock! In der Hand hielt er einen Taktstock.
„So, liebe Schüler, ich bin Frau Aria“, flötete er mit verstellter Stimme. „Und jetzt singt ihr mir alle ein schönes Lied vor.“
„Ich! Ich!“, krähte Bo.
„Streber“, murmelte Alexander.
„Abc, Lavundel lag im Schnee …“, schmetterte Bo so laut, dass Mogli unter das Sofa flüchtete.
„Äh, interessanter Vortrag“, sagte Frau Aria, nachdem Baby-Bo zu Ende gesungen hatte. Jetzt kam Mama an die Reihe. Sie sang wirklich schön. „Fuchs, du hast die Gans gestohlen …“
Papa brummte ein Seemannslied und Alexander die Titelmelodie einer Zeichentricksendung. Dann kam Lavundel dran.
Er warf sich in
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