Der Drache aus dem blauen Ei
Piraten.“
Anja horchte auf. Toll, Piraten!
„Soso, Drachen fliegen also im Winter wie Zugvögel nach Sibirien“, sagte Herr Meisenbeißer. „Aber den Sommer verbringen sie im Karibischen Meer. Vermutlich benutzen sie ihre Flügel zum Schwimmen. Sehr interessant.“
„Dann muss er doch auch Schwimmen lernen“, sagte Anja. „Können wir ihn nicht doch mitnehmen? Am Baggersee gibt es einige sehr abgelegene Stellen. Und wenn er taucht, sieht ihn doch keiner. Er kann stundenlang die Luft anhalten.“ Papa schien darüber nachzudenken, aber Mama schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Kinder. Heute sind für solche Versuche wirklich zu viele Leute am See.“
„Dann bleibe ich lieber hier bei Lavundel“, sagte Alexander plötzlich. Anja sah ihn verdutzt an. Ihr großer Bruder zwinkerte ihr verschwörerisch zu. Irgendetwas führte er doch im Schilde! Das sah sie an dem diebischen Blitzen seiner Augen. Nur was?
„Ich bleibe auch hier“, sagte sie schnell.
„Wie ihr wollt“, meinte Papa verwundert. Auch Herr Meisenbeißer wunderte sich, aber er sagte nichts. Gemeinsam winkten sie Mama, Papa und Bo hinterher.
„Nun, dann mache ich uns erst mal einen Eistee“, meinte Herr Meisenbeißer und verschwand in der Küche.
„Was hast du vor?“, flüsterte Anja Alexander zu.
„Geheime Piratenaktion“, sagte er leise. „Wir bringen Lavundel zum See und lassen ihn schwimmen.“
„Au ja!“, piepste Lavundel.
„Pssst!“, machten Alexander und Anja.
„Spinnst du?“, zischte Anja ihrem Bruder zu. „Mama hat es verboten. Außerdem dürfen wir nicht allein zum See.“
„Mama hat es verboten“, äffte ihr Bruder sie mit weinerlicher Stimme nach. „Du bist ja ein richtiges Mamakind. Wir gehen ja nicht selbst ins Wasser. Und ich kenne eine Stelle, wo niemand Lavundel sieht. Bist du dabei oder nicht?“ Er streckte ihr die Hand zum Abklatschen hin.
Anja schluckte und schaute in Lavundels Augen. Sie leuchteten vor Erwartung.
„Und was machen wir mit Herrn Meisenbeißer?“, flüsterte Anja.
„Der macht doch immer seinen Mittagsschlaf. Er wird gar nicht merken, dass wir weg sind. Bis er aufwacht, sind wir längst zurück.“
Das klang eigentlich ganz vernünftig.
Herr Meisenbeißer kam mit den kalten Getränken zurück und setzte sich aufs Sofa. Bald schon gähnte er und sagte schläfrig: „Ich hau mich mal ein bisschen aufs Ohr, Kinder. Passt gut auf den Drachen auf, ja?“
Er streckte sich auf dem Sofa aus und legte sich das nasse Handtuch über die Augen. Schon bald schnarchte er leise vor sich hin.
„Los, komm, Lavundel!“, flüsterte Anja und hielt die Badetasche auf. Lavundel sprang hinein. Dann schlichen sie an dem dösenden Mogli vorbei und rannten zu den Fahrrädern.
Bald wusste Anja, wo ihr Bruder hinwollte. Nicht zu dem flachen Baggersee, an dem sie sonst badeten und der nur „Kindersee“ hieß. Sondern zu dem größeren See daneben, der tiefer und ganz dunkelgrün war. An einer Seite stand ganz viel Buschwerk. Es war wirklich ein tolles Versteck für Lavundel.
Sie stellten ihre Fahrräder ab. Auf der anderen Seite des Sees waren die Liegewiesen voller Menschen. Die Leute lagen dort so dicht wie Ölsardinen und sonnten sich.
Eine dicke Frau im gelben Badeanzug dümpelte auf einer Luftmatratze im Wasser herum. Aber an der schattigen Stelle zwischen den dichten Büschen war niemand.
„Die Luft ist rein“, flüsterte Anja in die Badetasche. „Aber du versprichst mir, dass du gleich wiederkommst. Und dass du unter Wasser bleibst, damit dich niemand sieht, ja?“
Lavundel hob feierlich seine kleine Drachenpfote zum Schwur. „Großes Druchen-Ehrenwort.“ Anja sah sich noch einmal um und hob ihn aus der Tasche. „Mach schnell“, drängte Alexander. „Der dicke Mann da drüben hat eine Videokamera und filmt seine Frau auf der Luftmatratze.“
Lavundel sprang mit einem Juchzer aus Anjas Armen und tauchte mit einem wunderschönen Hechtsprung ins Wasser. Wie Herr Meisenbeißer schon vermutet hatte, benutzte er seine Flügel als Schwimmflossen. Was für ein guter Schwimmer er war! Anmutig glitt er am Kiesgrund entlang und verschwand in der dunkelgrünen Tiefe.
Lavundel taucht ab
Nachdem Lavundel im grünen Baggersee abgetaucht war, wurde es Anja doch ein wenig mulmig zumute. Würde er sein Versprechen wirklich halten? Sie warteten eine ganze Weile, aber Lavundel kam nicht wieder.
Da spritzte es plötzlich im tiefen Wasser hoch auf. „Huch!“, schrie die Frau auf der
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