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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Schnauze troff von dunkelrotem Blut. Simon starrte die beiden an und begriff erst allmählich, dass sie es überstanden hatten.
    »Jetzt langsam«, befahl der Troll. »Hier, ich werfe dir das Seil zu. Es wäre dumm, dich nun zu verlieren, nach allem, was wir hinter uns gebracht haben …« Das Seil beschrieb einen weiten Bogen und glitt über den Stamm auf Simon zu. Der Junge griff dankbar danach, und seine Hände zitterten, als litte er an Schüttellähmung.
    Binabik drehte den Hund mühsam mit dem Fuß um. Es war einer, den er mit einem Dorn erlegt hatte; der Wollpfropf ragte aus dem glatten weißen Fell am Hals des Tieres hervor wie ein winziger Pilz.
    »Sieh hier«, sagte der Troll. Simon beugte sich ein Stück näher. Der Hund glich keinem der Jagdhunde, die er je gesehen hatte: Die schmale Schnauze und das fliehende Kinn erinnerten ihn eher an die um sich schlagenden Haie, welche die Fischer aus dem Kynslagh zogen. Die schillernden weißen Augen, die nun blicklos vor sich hinstarrten, schienen Fenster zu irgendeiner innerlichen Krankheit zu sein.
    »Nein, das meine ich.« Binabik deutete mit dem Finger auf der Brust des Hundes, wo schwarz in die kurzen Haare eingebrannt ein schlankes Dreieck mit schmaler Grundlinie zu erkennen war – ein Brandzeichen, wie es die Männer der Thrithinge mit im Feuer erhitzten Speeren in die Flanken ihrer Pferde sengten.
    »Das ist das Zeichen der Sturmspitze «, erklärte Binabik ruhig »Es ist das Mal der Nornen.«
    »Und wer ist das?«
    »Ein seltsames Volk. Ihr Land liegt noch höher im Norden als Yiqanuc und Rimmersgard. Ein großer Berg steht dort – sehr hoch und ganz bedeckt mit Schnee und Eis –, den die Rimmersmänner Sturmspitze nennen. Die Nornen meiden die Gefilde von Osten Ard. Manche sagen, sie seien Sithi, aber ich weiß nicht, ob das der Wahrheit entspricht.«
    »Wie kann das sein?«, fragte Simon. »Schau dir das Halsband an.« Er bückte sich und schob vorsichtig einen Finger unter das weiße Leder, um es vom steif werdenden Fleisch des toten Hundes ein wenig hochzuheben.
    Binabik lächelte verlegen. »Schande über mich! Ich habe das Halsband übersehen, weiß auf weiß, wie es ist – ich, der seit frühester Kindheit gelernt hat, im Schnee zu jagen!«
    »Aber schau es dir doch an!«, drängte Simon. »Fällt dir die Schnalle nicht auf?«
    Die Schnalle des Halsbandes war in der Tat ungewöhnlich: ein Stück gehämmertes Silber in Gestalt eines sich windenden Drachens.
    »Das ist der Drachen der königlichen Hundezwinger«, erklärte Simon mit fester Stimme. »Ich muss es wissen – ich war oft genug bei Tobas dem Hundewärter.«
    Binabik hockte sich nieder und musterte den Kadaver. »Ich glaube dir. Doch was das Zeichen von Sturmspitze betrifft, so braucht man die Tiere nur anzusehen, um zu erkennen, dass diese Hunde keine Geschöpfe sind, die in eurem Hochhorst gezüchtet wurden.« Er stand auf und trat einen Schritt zurück. Qantaqa kam heran, um die Leiche zu beschnüffeln, und wich sofort mit grollendem Knurren wieder zurück.
    »Ein Geheimnis, dessen Lösung warten muss«, bemerkte der Troll. »Im Augenblick können wir uns glücklich preisen, dass wir am Leben sind und noch alle unsere Glieder haben. Wir wollen uns wieder auf den Weg machen; ich hege nicht den Wunsch, dem Herrn dieser Hunde zu begegnen.«
    »Ist es noch weit zu Geloë?«
    »Irgendwo hat man uns von unserem Weg abgedrängt, aber eslässt sich noch gutmachen. Wenn wir jetzt aufbrechen, müssten wir immer noch schneller sein als die Dunkelheit.«
    Simon sah auf die lange Schnauze und die bösartigen Kiefer des Hundes hinab, auf den kraftvollen Körper und das trübe Auge. »Hoffentlich«, meinte er leise.
    Sie fanden nirgends eine Stelle, an der sie die Schlucht überqueren konnten, und entschlossen sich endlich widerwillig dazu, den langen Hang wieder hinunterzuklettern und sich nach einem anderen, leichteren Abstieg als der nackten Felswand vor ihnen umzuschauen. Simon war fast kindisch froh, nicht klettern zu müssen; er hatte immer noch ein so schwaches Gefühl in den Knien wie nach einem Fieber. Er verspürte auch keine Lust, noch einen Blick in den Schlund der Schlucht zu werfen, unter sich nichts als den tiefen, tiefen Absturz. Es war eine Sache, im Hochhorst auf Mauern und Türme zu klettern, die rechtwinklige Ecken und Ritzen für die Maurer hatten – ein Baumstamm, der wie ein schwaches Zweiglein über dem Nichts hing, war etwas ganz anderes .
    Als sie nach einer Stunde wieder

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