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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Er deutete mit der Hand. Obwohl ein Abstieg unmöglich war, schlang der Troll sein Seil um einen Baumstumpf, der keinen Meter vom Rand der Schlucht im Boden saß. Als er fertig war, blickte er auf, und folgte mit dem Blick Simons Zeigefinger.
    Weniger als hundert Schritte von ihnen entfernt lag eine riesige, alte Schierlingstanne, die in den Abgrund gekippt war. Das Wurzelende balancierte auf der diesseitigen Kante der Schlucht, der Wipfel auf halber Höhe der gegenüberliegenden Wand, wo er sich an einem Felsvorsprung verfangen hatte.
    »Wir können auf die andere Seite hinüberklettern!«, erklärte Simon. Aber der Troll schüttelte den Kopf.
    »Wenn wir mit Qantaqa dort hinüberkommen, können sie es auch. Und es führt nirgendwo hin.« Er machte eine Handbewegung.
    Der Vorsprung, an dem der Baum sich verhakt hatte, war nur ein breites Band an der Felswand. »Aber er könnte eine gewisse Hilfe sein.«
    Binabik stand auf und zog an dem Seil, um den Knoten am Baumstumpf zu prüfen. »Nimm Qantaqa mit dort hinunter, wenn du kannst. Nicht zu weit, nur etwa zehn Ellen. Halt sie so lange fest, bis ich rufe, verstanden?«
    »Aber …«, begann Simon und sah dann wieder hinab. Die weißen Hunde, insgesamt etwa ein Dutzend, würden sie bald erreichen. Er packte die unwillige Qantaqa beim Nackenfell und drängte sie nach der umgestürzten Schierlingstanne.
    Ein großes Stück des Stammes zwischen dem Wurzelwerk des Baumes und dem Schluchtrand ließ genügend Platz, um hochzuklettern. Es war nicht leicht, dabei das Gleichgewicht zu halten, da Simon auch noch die Wölfin festhalten musste. Sie sträubte sich und wich knurrend zurück; der Laut ging im Lärm der näher kommenden Hunde fast unter. Er schaffte es nicht, sie auf den breiten Stamm hinaufzulocken. Ratlos drehte er sich zu Binabik um.
    »Ummu!« , schrie der Troll heiser, und sofort sprang Qantaqa, noch immer grollend, auf die Tanne. Simon setzte sich, so gut er konnte, rittlings auf den Stamm, wobei ihm die Keule im Gürtel recht hinderlich war. Er rutschte auf dem Hinterteil rückwärts weiter und hielt dabei immer noch Qantaqa fest, bis er den Rand der Schlucht ein gutes Stück hinter sich gelassen hatte. Genau in diesem Augenblick schrie der Troll auf, und als Qantaqa den Ton seiner Stimme hörte, fuhr sie jäh herum. Simon hing mit beiden Armen an ihrem Hals und presste seine Knie an die rauhe Borke. Ihm war auf einmal kalt, so kalt! Er vergrub das Gesicht in ihrem Pelz, roch ihren starken, wilden Geruch und flüsterte ein Gebet.
    »… Elysia, Mutter unseres Erlösers, sei uns gnädig, beschütze uns …«
    Binabik stand, ein zusammengerolltes Stück des Seiles in der Hand, genau einen Schritt vor dem Abgrund. » Hinik, Qantaqa!«, rief er, und dann waren die Hunde aus den Bäumen heraus und jagten das letzte Stück den Abhang hinauf.
    Von dort, wo er saß und die strampelnde Wölfin festhielt, konnte Simon recht wenig von ihnen sehen – nur lange, schmale weiße Rücken und scharfe Ohren. Die Bestien rannten im Galopp auf den Troll zu und machten dabei ein Geräusch, als schleife man Metallketten über einen Schieferboden.
    Was hat Binabik nur vor? , dachte Simon, der vor lauter Panik kaum atmen konnte. Warum läuft er nicht weg, warum macht er keinen Gebrauch von seinen Dornen – warum tut er nicht irgendetwas?
    Es war, als kehre sein schlimmster Alptraum zurück, von Morgenes, der zwischen Simon und Elias’ tödlicher Gefolgschaft in Flammen stand. Er konnte nicht hier sitzen bleiben und zusehen, wie Binabik vor seinen Augen zerrissen wurde. Gerade wollte er den Stamm wieder hinaufrutschen, als die Hundemeute den Troll ansprang.
    Nur einen blitzartigen Moment nahm Simon die langen, hellen Schnauzen wahr, die leeren, perlweißen Augen und das Aufblitzen roter, gerollter Zungen und roter Lefzen, dann sprang Binabik nach hinten und hinab in die Schlucht –
    »Nein!« , kreischte Simon, außer sich vor Entsetzen. Die fünf odersechs Tiere, die Binabik am nächsten gewesen waren, schossen vorwärts, konnten nicht mehr bremsen und purzelten in einem aufjaulenden Gewirr weißer Beine und Schwänze die Klippe hinunter. Simon sah, wie der Klumpen winselnder Hunde gegen die steile Felswand prallte und dann senkrecht tief in die Bäume hinabstürzte. Brechende Äste krachten wie bei einer Explosion. Er fühlte, wie ein neuer würgender Aufschrei aus seiner Brust stieg …
    »Jetzt, Simon! Lass sie los!«
    Mit aufgesperrtem Mund schaute Simon nach unten und

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