Der Drachenbeinthron
erblickte Binabiks gegen die Wand der Schlucht gestemmte Füße. Der Troll hing an dem um seine Mitte geschlungenen Seil, keine zwei Dutzend Fuß unter der Stelle, an der er hinabgesprungen war.
»Lass sie los!«, wiederholte er, und Simon löste endlich den Arm von Qantaqas Nacken. Die verbliebenen Hunde drängten sich über Binabiks Kopf am Rand zusammen, schnüffelten am Boden und starrten in die Tiefe. In ohnmächtiger Wut bellten sie den kleinen Mann an, der so nahe, aber für die Hunde unerreichbar über dem Abgrund hing.
Noch während sich Qantaqa den breiten Rücken der Schierlingstanne hinaufbewegte, richtete einer der weißen Hunde seine winzigen Augen auf den Baum und Simon, stieß ein lautes, rasselndes Knurren aus und rannte auf ihn zu; die anderen folgten ihm sofort.
Noch bevor jedoch die jappende Meute die Tanne erreicht hatte, tat die graue Wölfin die letzten Schritte und landete mit einem prachtvollen Sprung auf dem Rand des Abgrundes. Einen Herzschlag später war der erste Hund an ihr, zwei weitere dicht dahinter. Das knurrende Kampflied der Wölfin stieg in die Höhe, im Bellen und Heulen der Hunde ein tieferer Ton.
Simon, einen Augenblick lang unentschlossen, begann sich auf den Rand der Schlucht zuzuschieben. Der Stamm war so breit, dass ihm die gespreizten Beine wehtaten. Er überlegte, ob er sich auf die Knie aufrichten und kriechen, seinen festen Halt am Baum also der Schnelligkeit opfern sollte. Die Äste des Baumes weiter unten sahen aus wie ein höckriger, grüner Teppich. Die Entfernung zur anderen Seite machte ihn schwindlig; sie war weit größer als der Sprung von der Mauer zum Engelsturm. In seinem Kopf drehte sich alles; erwandte den Blick ab und beschloss, seine Knie dort zu lassen, wo sie waren. Als er wieder aufschaute, war eine der weißen Bestien auf die breite Tanne gesprungen.
Der Hund grollte und kam rasch vorwärts. Seine Krallen kratzten über die Rinde. Simon blieb nur eine Sekunde, um seinen Ast mit dem Knorren herauszureißen, bevor das Untier die vielleicht ein Dutzend Fuß zurückgelegt hatte und ihn anspringen würde. Einen Moment verhakte sich der Ast in seinem Gürtel, aber Simon hatte das schmale Ende nach unten gesteckt, und das rettete ihm wahrscheinlich das Leben.
Die Keule war frei, als der Hund über ihn kam. Gelbe Zähne blitzten, als er nach Simons Gesicht schnappte. Dem Jungen gelang es, mit dem Ast so weit auszuholen, dass er den Angreifer mit seinem Hieb streifte und dadurch ablenkte. Einen Zollbreit von seinem linken Ohr klappten die Zähne in der Luft zusammen und bespritzten ihn mit Geifer. Die Hundepfoten standen auf seiner Brust, und der fürchterliche Aasgeruch des Atems wehte ihm in die Nase; Simon war im Begriff, den Halt zu verlieren. Er versuchte die Keule wieder hochzureißen, aber sie blieb zwischen den gestreckten Vorderläufen des Tiers stecken. Als die lange, geifernde Schnauze ein zweites Mal auf sein Gesicht zustieß, beugte er sich rückwärts und versuchte den Ast freizuzerren. Ein sekundenlanger Widerstand, dann hatte er dem weißen Hund eine Pfote unter der Schulter weggeschlagen – und das Tier verlor das Gleichgewicht. Es jaulte auf, torkelte zur Seite, kratzte einen Augenblick mit den Pfoten über die Borke und riss die Keule mit sich, als es vom Baumstamm abrutschte und kopfüber in die Schlucht stürzte.
Simon sank nach vorn, klammerte sich mit den Händen am Baum fest und hustete, um den stinkenden Atem des Hundes aus seiner Nase zu vertreiben. Ein dumpfes Knurren unterbrach ihn. Langsam hob er den Kopf und sah einen zweiten Hund auf dem Stamm stehen, gerade hinter den Wurzeln. Die milchigen Augen glänzten wie bei einem blinden Bettler. Der Hund entblößte die Zähne zu einem schäumenden, scharlachzüngigen Grinsen. Simon hob hilflos die leeren Hände, als sich das Tier langsam den Baumstamm vortastete. Unter dem kurzen Fell spannten sich die Muskeln wie Stricke.
Der Hund drehte sich um, schnappte nach seiner Flanke, zerrte einen Augenblick an seinem Fell und richtete dann von neuem den unheimlich leeren Blick auf Simon. Schließlich machte er einen weiteren Schritt, schwankte, tat noch einen unsicheren Schritt, sank zusammen – und rutschte von der Schierlingstanne hinunter ins Vergessen.
»Der schwarze Dorn schien mir am sichersten«, rief Binabik.
Der kleine Mann stand ein paar Meter hangabwärts unter dem verdorrten Wurzelballen des Baumes. Gleich darauf hinkte Qantaqa herbei und stellte sich neben ihn. Ihre
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