Der Drachenbeinthron
am Fuß des langen Hanges angekommen waren, hielten sie sich nach rechts und suchten sich einen Weg nach Nordwesten. Sie hatten noch keine fünf Achtelmeilen zurückgelegt, als ein hoher, klagender Schrei messerscharf durch die Nachmittagsluft schnitt. Qantaqa spitzte die Ohren und grollte. Der Laut wiederholte sich.
»Es klingt wie ein schreiendes Kind«, erklärte Simon und drehte den Kopf, um den Ursprung des Geräusches zu orten.
»Der Wald spielt einem oft solche Streiche«, begann Binabik. Von neuem erhob sich der klagende Laut. Gleich darauf ertönte ein wütendes Bellen, das ihnen nur allzu vertraut war.
»Qinkipas Augen!«, fluchte Binabik, »wollen sie uns den ganzen Weg bis nach Naglimund hetzen?« Das Gebell schwoll an, und er lauschte. »Es klingt nach nur einem Hund. Das ist wenigstens ein Glück.«
»Es hört sich an, als komme es von dort unten.« Simon deutete auf eine etwas entfernte Stelle, an der die Bäume dichter zusammenstanden. »Lass uns nachsehen.«
»Simon!« Binabiks Stimme war rauh vor Überraschung. »Was sagst du da? Wir fliehen um unser Leben!«
»Du hast gesagt, es klingt nur nach einem. Wir haben Qantaqa. Da wird jemand angegriffen . Wie können wir wegrennen?«
»Simon, wir wissen nicht, ob das Schreien eine List ist … oder es könnte ein Tier sein.«
»Und wenn es das nicht ist?«, fragte Simon. »Wenn dieses Untier nun irgendein Holzfällerkind gefunden hat, oder … etwas anderes?«
»Ein Holzfällerkind? So weit entfernt vom Waldrand?« Binabik starrte ihn enttäuscht und zornig an. Simon gab den Blick trotzig zurück. »Ha!«, sagte Binabik mit Nachdruck. »Dann soll es so sein, wie du wünschst.«
Simon machte kehrt und lief schnell auf die dichter stehenden Bäume zu.
»Mikmok hanno so gijiq, sagen wir in Yiqanuc!«, rief Binabik ihm hinterher. »Wer ein hungriges Wiesel in der Tasche trägt, ist selber schuld!« Der Junge drehte sich nicht um. Binabik schlug seinen Wanderstab gegen einen Baum und folgte ihm.
Innerhalb von hundert Schritten war er wieder an Simons Seite; zwanzig Schritte weiter hatte er seinen Stab aufgeschraubt und den Beutel mit den Dornen herausgeholt. Mit einem gezischten Befehl holte er die vorausstürmende Qantaqa zurück und rollte dann im Laufen geschickt grobe Wolle um einen der Dornen mit dunkler Spitze.
»Könntest du dich nicht selber vergiften, wenn du stolpern und hinfallen würdest?«, wollte Simon wissen.
Binabik warf ihm einen sauren, besorgten Blick zu und bemühte sich, Schritt zu halten.
Als sie endlich den Ort des Geschehens erreichten, sah es dort täuschend harmlos aus: Am Fuß einer weitverzweigten Esche hockte ein Hund und fixierte eine dunkle Gestalt, die über ihm auf einem Ast kauerte. Es hätte einer der Burghunde aus dem Hochhorst sein können, der eine Katze auf einen Baum gejagt hatte, nur dass Hund und Beute beide wesentlich größer waren.
Sie waren keine hundert Schritte mehr entfernt, als der Hund sichihnen zuwandte. Er zog die Lefzen hoch und bellte, ein bösartiges, rohes, gellendes Geräusch. Noch einmal schaute er nach dem Baum, streckte dann die langen Beine und trottete auf die Neuankömmlinge zu. Binabik wurde langsamer und blieb stehen. Er setzte das hohle Röhrchen an die Lippen. Qantaqa trabte an ihm vorbei. Als der Hund näherkam, blies der Troll die Backen auf und pustete. Falls der Dorn ihn getroffen hatte, ließ es sich der Hund nicht anmerken; stattdessen rannte er knurrend weiter, Qantaqa ihm entgegen. Dieser Hund war noch größer als die anderen, ebenso groß, wenn nicht gar noch etwas größer als die Wölfin.
Die beiden Tiere umkreisten einander nicht, sondern stürzten sofort aufeinander los. Gleich darauf wälzten sie sich fauchend am Boden, ein tobendes, zappelndes Knäuel aus grauem und weißem Fell. Neben Simon fluchte Binabik erbost: Vor lauter Hast, einen neuen Dorn aufzudrehen, war ihm das lederne Päckchen aus der Hand gefallen. Die Elfenbeinnadeln verteilten sich am Boden zwischen Blättern und Moos.
Das Knurren der Kämpfer war schriller geworden. Der lange weiße Kopf des Hundes stieß vor und zurück, einmal, zweimal, dreimal, wie eine Viper, die zuschlägt. Beim letzten Mal war Blut auf der bleichen Schnauze.
Simon und der Troll liefen auf die Tiere zu, als Binabik plötzlich einen seltsamen, erstickten Laut von sich gab.
»Qantaqa!«, schrie er und sprang vor. Simon sah Binabiks Messer mit dem Knochengriff aufblitzen, dann warf der Troll sich zwischen die sich
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