Der Drachenbeinthron
wieder in Trab setzten.
Schon bald führte sie ihr Weg eine lange Steigung hinauf. Je höher sie kamen, desto felsiger wurde der Boden, und selbst die Baumarten schienen sich zu verändern. Simon stolperte über den unebenen Hang und merkte, wie sich ein übelkeiterregendes Gefühl der Niederlage in seinem Körper ausbreitete wie Gift. Binabik hatte ihm erklärt, es würde zumindest später Nachmittag werden, bis sie zu dieser Geloë kamen; aber sie hatten das Rennen jetzt schon verloren, und es war noch nicht einmal im Mittag.
Der Lärm ihrer Verfolger blieb immer gleich, ein aufgeregtes Heulen, so laut, dass sich Simon, noch während er den entmutigenden Hang hinauftaumelte, wundern musste, woher sie den Atem nahmen, gleichzeitig zu rennen und zu bellen. Was für eine Art Hunde war das?
Simons Herz schlug so schnell wie Vogelflügel. Nur allzu bald würden er und der Troll vor ihren Jägern stehen. Und bei diesem Gedanken wurde ihm schlecht.
Endlich war durch die Baumstämme ein schmaler Streifen Himmel zu sehen: die Spitze des Abhanges. Sie hinkten an der letzten Baumreihe vorbei. Qantaqa, die vor ihnen herlief, hielt plötzlich inne und bellte, ein scharfer, hoher Laut aus tiefer Kehle.
»Simon!«, schrie Binabik, warf sich nieder und schlug dem Jungen die Beine weg, sodass er mit einem Ächzen gewaltsam den Atem ausstieß und stürzte. Als sich gleich darauf der schwarze Tunnel seines Blickfeldes erweiterte, lag er auf seinen Ellenbogen und sah über eine zerklüftete Felswand in eine tiefe Schlucht hinunter. Unter seiner Hand lösten sich ein paar Stücke Geröll aus dem Fels und hüpften und polterten die Steilwand hinab, um tief unten in den grünen Wipfeln der Bäume zu verschwinden.
Das Gebell war wie die eherne Fanfare von Kriegstrompeten. Simon und der Troll schoben sich vom Rand der Schlucht fort, ein paar Fuß bergab, und standen auf.
»Schau!«, zischte Simon, der seinen blutenden Händen und Knien keine Aufmerksamkeit schenkte.
»Binabik, schau!« Er deutete den langen Abhang hinunter, den sie gerade erst erklommen hatten. Ein dichter Mantel aus Bäumen bedeckte ihn.
Über eine Lichtung, viel, viel weniger als eine Meile entfernt, schoss ein Durcheinander weißer Schemen: die Hunde.
Binabik nahm Simon den Stab ab, drehte ihn auseinander, schüttelte die Dornen heraus und gab dem Jungen das Ende mit dem Messer.
»Schnell«, sagte er, »schneide dir einen Ast als Keule ab! Wenn wir unser Leben schon verkaufen müssen, soll der Preis wenigstens ein hoher sein.«
Die kehligen, aggressiven Stimmen der Hunde brandeten den Berg hinauf, ein stetig anschwellendes Lied vom Ende der Jagd und vom Tod.
25
Der geheime See
ie ein Wahnsinniger hieb und hackte er, bog den Ast mit seinem ganzen Gewicht nach unten, das Messer schlüpfrig in den zitternden Fingern. Viele kostbare Sekunden brauchte Simon, bis er einen Ast abgeschnitten hatte, der ihm geeignet schien – eine so armselige Verteidigung er auch sein mochte –, und jede Sekunde brachte die Hunde näher heran. Der Ast, den er endlich abbrach, war so lang wie sein Arm und hatte an einem Ende, dort, wo ein anderer Ast abgefallen war, einen Knorren.
Der Troll wühlte in seinem Rucksack und hielt mit der anderen Hand Qantaqas dickes Nackenfell gepackt.
»Halt sie fest!«, rief er Simon zu. »Wenn wir sie jetzt loslassen, greift sie zu früh an. Dann werden sie sie niederreißen und sofort töten.«
Simon hockte sich hin und legte der Wölfin den Arm um den breiten Hals. Sie bebte vor Erregung; Simon fühlte sein eigenes Herz im selben schnellen Rhythmus schlagen – es war alles so unwirklich ! Erst heute Morgen hatte er friedlich neben Binabik und der Wölfin am Feuer gesessen …
Das Kläffen der Meute wurde drängender; sie kamen den Berg hinaufgeschwärmt, wie weiße Ameisen aus einem bröckelnden Nest. Qantaqa machte einen Satz nach vorn und zerrte Simon auf die Knie.
»Hinik Aia!« , schrie Binabik und gab ihr mit dem hohlen Knochenröhrchen einen Klaps auf die Nase. Dann ließ er das Röhrchen fallen, zog ein Stück Seil aus den Tiefen seines Rucksacks und machte sich daran, eine Schlinge zu knüpfen. Simon, der ihn zu verstehen glaubte, warf einen Blick nach rückwärts über den Rand der Schluchtund schüttelte verzweifelt den Kopf. Es ging viel zu tief hinunter, mehr als doppelt so weit, wie Binabiks Seil die glatte Felswand hinabreichte. Dann sah er etwas und spürte, wie sich trotz allem Hoffnung in ihm regte.
»Schau, Binabik!«
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