Der Drachenbeinthron
vielleicht schon eine andere Stelle gefunden, an der er den Fluss überqueren kann. Er hat mindestens zwei Bogenschützen bei sich, und wer weiß, was aus den Hunden geworden ist … und … und Binabik ist mein Freund.« Er wandte sich wieder dem blutüberströmten Troll zu.
Marya schwieg eine Weile. »Ich weiß«, sagte sie endlich.
Der Pfeil war schräg eingedrungen, eine gute Handlänge von der Mitte des Rückgrats entfernt. Durch vorsichtiges Anheben des kleinen Körpers konnte Simon die Hand daruntergleiten lassen. Schnell fanden seine Finger die scharfe, eiserne Pfeilspitze, die gerade unter Binabiks Arm herausgetreten war, neben den vorderen Rippen.
»Verflucht! Er ist mitten durchgegangen!« Simon überlegte fieberhaft. »Komm schon … Komm schon …«
»Brich die Spitze ab«, schlug Marya, jetzt mit ruhigerer Stimme, vor. »Dann kannst du ihn leichter herausziehen – wenn du sicher bist, dass das das Richtige ist.«
»Natürlich!« Simon war begeistert, und ihm war es ein wenig schwindlig. »Natürlich.«
Er brauchte eine gehörige Zeit, bis er den Pfeil unterhalb der Spitze durchgeschnitten hatte; das kleine Messer wurde immer stumpfer dabei. Als er fertig war, half ihm Marya, Binabik in die Lage zu bringen, in der der Pfeil sich am besten bewegen ließ. Dann, ein stummes Gebet an Ädon auf den Lippen, drehte Simon den Pfeil aus der Eintrittswunde heraus. Frisches Blut quoll daraus hervor. Simon starrte den verhassten Gegenstand an und schleuderte ihn fort. Qantaqa hob den dicken Kopf und sah ihm nach, gab dann ein brummendes Stöhnen von sich und sackte wieder zusammen.
Sie machten aus den Lumpen, in denen der Weiße Pfeil gelegen hatte, und Streifen aus seiner zerschnittenen Jacke einen notdürftigen Verband. Dann hob Simon den immer noch schwach atmenden Troll hoch und nahm ihn auf seine Arme. »Geloë hat gesagt, wir sollten die Steige hinaufklettern. Ich weiß zwar nicht, wo das ist, aber wir sollten uns lieber in Richtung der Berge halten«, erklärte Simon. Marya nickte.
Die hellen Flecken zwischen den Baumspitzen verrieten ihnen, dass es fast Mittag war, als sie den zugewachsenen Brunnen verließen. Rasch durchquerten sie die Außenbezirke der verfallenden Stadt und merkten schon nach einer Stunde, dass der Boden unter ihren müden Füßen anzusteigen begann. Der Troll wurde allmählich wieder zur schweren Last. Simon war zu stolz, etwas zu sagen, aber er schwitzte heftig, und Rücken und Arme fingen an, genausowehzutun wie die verwundete Seite. Marya schlug vor, Beinlöcher in den Rucksack zu schneiden, damit man Binabik darin tragen könnte. Aber nachdem er darüber nachgedacht hatte, verwarf Simon diese Idee. Erstens wären die Erschütterungen für den hilf- und bewusstlosen Troll zu groß gewesen, und zweitens müssten sie dann einiges vom Inhalt des Rucksackes zurücklassen, und das meiste davon waren Lebensmittel, die sie noch brauchen würden.
Als sich das sanft ansteigende Land in steile, buschige Hänge voller Riedgras und Disteln zu verwandeln begann, winkte Simon Marya, endlich anzuhalten. Er setzte den kleinen Mann ab und stand einen Augenblick mit in die Hüfte gestemmten Händen da. Seine Brust hob und senkte sich schwer, während er tief Atem holte.
»Wir … wir müssen … ich muss … mich … ausruhen«, schnaufte er. Marya betrachtete voller Mitgefühl sein gerötetes Gesicht.
»Du kannst ihn nicht bis ganz auf den Gipfel schleppen, Simon«, bemerkte sie sanft. »Weiter oben scheint es noch steiler zu werden. Du wirst die Hände zum Klettern brauchen.«
»Er … ist … mein Freund«, beharrte Simon starrsinnig, »ich … kann … das.«
»Nein, das kannst du nicht.« Marya schüttelte den Kopf. »Wenn wir ihn nicht im Rucksack tragen können, dann müssen wir …« Sie ließ die Schultern hängen und setzte sich erschöpft auf einen Felsen. »Ich weiß nicht, was wir müssen, aber irgendwas müssen wir.«
Simon sackte neben ihr zusammen. Qantaqa war weiter bergauf verschwunden und sprang behende an Stellen voraus, zu deren Erklettern der Junge und das Mädchen lange und beschwerliche Minuten brauchen würden.
Plötzlich kam Simon eine Idee. »Qantaqa!«, rief er, stand auf und verstreute den Inhalt des Rucksackes vor sich auf dem Grasboden. »Qantaqa! Komm her!«
In fieberhafter Eile, den unausgesprochenen Gedanken an Ingen Jegger als drohenden Schatten über sich, wickelten Simon und Marya Binabik von Kopf bis Fuß in den Mantel des Mädchens und legten den
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