Der Drachenbeinthron
Tosen des Wassers unter. Falls Heahferth die Worte überhaupt gehört hatte, schien er sie jedenfalls nicht zu beachten. Zum Klirren der Soldatenfüße auf der Brücke gesellte sich das Klappern von Hufschlag auf Stein.
Noch während der Lärm der Verfolger lauter wurde, stolperte Simon mit der Stiefelspitze über eine hochstehende Platte und stürzte.
Ein Speer im Rücken … dachte er noch im Fallen, und: Wie konnte das alles nur geschehen? Dann prallte er schmerzhaft auf seine Schulter, denn er hatte sich zur Seite gerollt, um den Körper des Trolls in seinen Armen zu schützen.
Simon lag auf dem Rücken und starrte auf die Stücke Himmel, die durch den dunklen Dom der Bäume schimmerten. Auf seinerBrust lastete Binabiks nicht unbeträchtliches Gewicht. Marya zog ihn am Hemd und versuchte ihn aufzurichten. Er wollte ihr sagen, dass es jetzt doch keinen Sinn mehr hätte, nicht mehr der Mühe wert sei; aber als er sich auf einen Ellenbogen stützte und mit dem anderen Arm den Troll festhielt, sah er, dass hinter ihnen etwas Seltsames vorging.
Mitten auf der langen, hochgewölbten Brücke hatten Baron Heahferth und seine Männer aufgehört, sich zu bewegen – nein, das stimmte nicht ganz: Sie standen da und schwankten; die Bewaffneten hielten sich an den niedrigen Brückenmauern fest, der Baron umklammerte den Hals seines Pferdes. Man konnte aus der Entfernung seine Züge nicht deutlich erkennen, aber seine Haltung war die eines Menschen, der jäh aus dem Schlaf erwacht. Eine Sekunde später bäumte sich, ohne dass Simon einen Grund dafür feststellen konnte, das Pferd auf und stürmte vorwärts. Die Männer, die noch schneller rannten als vorher, folgten ihm. Unmittelbar darauf – keinen Lidschlag nach dieser Bewegung – drang ein gewaltiges Knacken an Simons Ohr, als hätte eine Riesenhand sich einen Baumstamm als Zahnstocher abgebrochen. Das schlanke Tor der Hirsche schien in der Mitte zu bersten.
Vor den überraschten, gebannten Augen von Simon und Marya stürzte die Brücke in den Fluss, das Mittelstück zuerst. Die Steine lösten sich voneinander und zerbröckelten zu großen, eckigen Scherben, die spritzend ins Wasser krachten. Einige Pulsschläge lang sah es aus, als würden Heahferth und seine Soldaten noch die andere Seite erreichen; aber dann, in Wellenbewegungen wie eine ausgeschüttelte Decke, faltete sich der Steinbogen zusammen und schickte eine wimmelnde Masse von Armen, Beinen, bleichen Gesichtern und einem um sich schlagenden Ross kopfüber hinunter zwischen die zackigen Blöcke aus milchigem Chalzedon, wo sie in Strudeln grünen Wassers und weißer Gischt verschwanden. Wenig später erschien ein paar Ellen flussabwärts der Kopf des Pferdes mit mühsam aus dem Wasser gereckten Hals, der aber sofort wieder im wirbelnden Fluss unterging.
Langsam drehte sich Simon zum Fuß der Brücke um. Die beiden Bogenschützen lagen auf den Knien und starrten in den reißendenStrom; hinter ihnen stand die Gestalt Ingens mit der schwarzen Kapuze über dem Kopf und blickte zu den Gefährten hinüber. Es war, als wären seine blassen Augen nur ein paar Zoll von ihnen entfernt.
»Steh auf!«, brüllte Marya und zog Simon an den Haaren. Mit einem fast hörbaren Schnappen zerriss der Blickkontakt zwischen Simon und dem Jäger, es war als risse ein Seil. Simon stand auf, wobei er seine kleine Last sorgsam im Gleichgewicht hielt, und sie verschwanden in den Echos und Schatten von Da’ai Chikiza.
Nach hundert Schritten taten Simon die Arme weh, und er hatte ein Gefühl, als steche ihm ein Messer immer wieder in die Seite; er musste sich anstrengen, nicht hinter dem Mädchen zurückzubleiben. Sie folgten der vorausspringenden Wölfin durch die Ruinen der Sithistadt. Es war, als liefen sie durch eine Höhle aus Bäumen und Eiszapfen, einen Wald aus glänzenden Spitzen und dunkler, moosiger Verwesung. Überall lagen zerbrochene Steinplatten herum, und dicke Strähnen aus Spinnweben spannten sich über wunderschöne, zerfallende Bögen. Simon war zumute, als habe ihn ein unvorstellbar großer Riese mit Eingeweiden aus Quarz, Jade und Perlmutt verschluckt. Hinter ihnen verstummten allmählich die Geräusche des Flusses, und nur das Rasseln ihres eigenen, rauhen Atems wetteiferte mit dem Scharren ihrer schnellen Schritte.
Endlich schienen sie den äußeren Rand der Stadt erreicht zu haben. Die hohen Bäume, Schierlingstanne, Zeder und ragende Kiefer, standen dichter zusammen, und die Steinplattenböden, die bisher
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