Der Drachenbeinthron
das finstere Antlitz der Sturmspitze umspielten. Das alles war nun vorbei! Sein Weg lag klar vor ihm, doch wenig Freude war damit verbunden.
Aber noch war nicht alles eindeutig. Da war immer noch dieser quälende Traum, mit dem er fertig werden musste, der Traum von dem schwarzen Buch und den drei Schwertern. Seit zwei Wochen verfolgte er ihn im Schlaf, aber sein Sinn war ihm bis heute verborgen geblieben.
In südlicher Richtung, weit entfernt am Rand der Bäume, die die westlichen Ausläufer des Weldhelms säumten, entstand eine Bewegung, die seine Gedankengänge unterbrach. Er kniff kurz die Augen zusammen, nickte dann langsam mit dem Kopf und stand auf.
Als er seinen Mantel wieder anzog, änderte der Wind die Richtung; gleich darauf ließ sich von Norden dumpfes Donnergrollen vernehmen. Es wiederholte sich, ein tiefes Brummen wie von einemTier, das mühsam aus dem Schlaf erwacht. Sofort schwoll auch aus der entgegengesetzten Richtung das Getrappel der Hufe zu einer Lautstärke an, die mit dem Donner um die Wette toste.
Als Jarnauga den Vogelkäfig aufhob und den Reitern entgegenging, verschmolzen die Geräusche miteinander – das Grollen des Donners im Norden, das gedämpfte Stampfen herannahender Reiter im Süden –, bis sie den weißen Wald mit ihrem kalten Dröhnen erfüllten wie Schläge auf Trommeln aus Eis.
29
Jäger und Gejagte
as hohle Brausen des Flusses erfüllte seine Ohren. Einen Herzschlag lang kam es Simon vor, als sei das Wasser das Einzige, was sich bewegte – als seien die Bogenschützen am anderen Ufer, Marya, er selber, zu Stein erstarrt, als der Pfeil einschlug, der jetzt in Binabiks Rücken zitterte. Dann fauchte ein weiterer Schaft an dem weißgesichtigen Mädchen vorbei, zersplitterte krachend an einem zerbrochenen Gesims aus glänzendem Stein, und alles war wieder in fieberhafter Bewegung.
Er nahm die insektenhaft huschenden Bogenschützen auf der anderen Seite des Flusses kaum wahr. In drei Sätzen legte er die Entfernung zwischen sich, Mädchen und Troll zurück. Er bückte sich, und ein seltsam isolierter Teil seines Gehirns registrierte, dass die Jungenhosen, die Marya trug, am Knie zerfetzte Löcher hatten und sich unterhalb seiner Achsel ein Pfeil durch sein Hemd gebohrt hatte. Zuerst glaubte er, das Geschoss habe seinen Oberkörper knapp verfehlt, bis er gleich darauf einen brennenden Schmerz fühlte, der ihm den Brustkorb versengte.
Immer mehr Pfeile sausten vorbei, prallten vor ihnen flach auf die Steinplatten und hüpften weiter wie Steine auf einem See. Rasch kniete Simon nieder und hob den stummen Troll auf die Arme. Er fühlte, wie sich der grässliche, steife Pfeil unter seinen Fingern bewegte. Dann drehte er sich um, sodass sein Rücken den kleinen Mann abschirmte – Binabik sah bleich aus. War er tot? Bestimmt war er tot! –, und stand auf. Von neuem brannte der Schmerz an seinen Rippen, und er taumelte. Marya packte ihn am Ellenbogen.
»Lökens Blut!«, schrie der schwarzgekleidete Ingen, dessen ferne Stimme in Simons Ohren wie ein leises Murmeln klang. »Ihr tötet sieja, ihr Dummköpfe! Ich habe gesagt, ihr solltet sie dort festhalten! Wo ist Baron Heahferth?«
Qantaqa war wieder zu ihnen heruntergelaufen. Marya versuchte die Wölfin fortzuscheuchen, während sie und Simon die Stufen nach Da’ai Chikiza hinauftaumelten. Hinter ihnen zersprang ein gefiederter Schaft, dann war die Luft still.
»Heahferth ist hier, Rimmersmann!«, rief eine Stimme durch den Lärm der Gepanzerten. Von der obersten Stufe blickte Simon sich um. Sein Mut sank. Ein Dutzend Männer in voller Kampfausrüstung rannte an Ingen und seinen Bogenschützen vorbei, gerade auf das Tor der Hirsche zu, die Brücke, die Simon und seine Gefährten vor ihrer Landung zuletzt passiert hatten. Der Baron selbst ritt auf seinem roten Ross hinter ihnen her und hielt einen langen Speer über dem Kopf. Sie hätten nicht einmal den Fußsoldaten einen großen Vorsprung abgewinnen können – das Pferd des Barons würde sie in weniger als drei Atemzügen stellen.
»Lauf, Simon!«, Marya zerrte ihn am Arm, sodass er stolpernd vorwärtsrannte. »Wir müssen uns in der Stadt verstecken!« Aber Simon wusste, dass auch das hoffnungslos war. Bis sie ein Versteck fanden, würden die Soldaten sie längst eingeholt haben. »Heahferth!«, rief Ingen Jeggers Stimme hinter ihnen, ein flacher, kleiner Ton im Brausen des Flusses. »Das geht nicht! Seid kein Narr, Erkynländer, Euer Pferd …!«
Der Rest ging im
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