Der Drachenbeinthron
auf sich selber.
Was für ein Mondkalb ich bin! , dachte er aufgebracht. Einer meiner besten Freunde liegt im Sterben, ich habe mich am Ende der Welt verirrt, werde von bewaffneten Männern und vielleicht noch Schlimmerem gejagt – und da stehe ich nun und lasse wegen einer dürren Dienstmagd den Kopf hängen. Idiot!
Er sagte nichts zu Marya, als er sie einholte, aber der Ausdruck seines Gesichtes musste ihr einiges verraten haben. Sie warf ihm einen nachdenklichen Blick zu, und die beiden setzten sich ohne ein weiteres Wort in Marsch.
Die Sonne war hinter den gezackten Rücken der Berge verschwunden, als der Hirschpfad breiter zu werden begann. Innerhalb einer Viertelmeile verwandelte er sich in einen ebenen Weg, auf dem einst vielleicht sogar Wagen hatten fahren können, der aber nun längst vor der wuchernden Wildnis kapituliert hatte. Neben ihm schlängelten sich andere, schmalere Pfade, Schneisen in der ansonsten gleichmäßigen Decke aus Büschen und Bäumen. Schließlich kamen sie an eine Stelle, wo sich diese Nebenpfade mit dem Hauptweg vereinten, und hundert Ellen weiter merkten sie, dass sie wieder die uralten Steinplatten unter den Füßen hatten. Bald darauf erreichten sie die Steige.
Die breite, gepflasterte Straße kreuzte den Weg, auf dem sie gekommen waren, und schwang sich in steilen Serpentinen den Berg hinauf. Zwischen den zersprungenen, grauen und weißen Bodenplatten war hohes Gras aufgeschossen, und manchmal waren sogar große Bäume einfach aus dem Straßenpflaster gewachsen und hatten mit zunehmender Größe die Steine auseinander und zur Seite gedrängt, sodass sie jetzt von kleinen Haufen herausgebrochener Steine umgeben waren.
»Und das geht jetzt so bis nach Naglimund«, sagte Simon halb zu sich selber. Es waren die ersten Worte, die einer von beiden seit langer Zeit sprach.
Marya wollte gerade etwas antworten, als ihr Blick auf den Gipfel fiel. Sie schaute genauer hin, aber was auch immer dort ein Licht hatte aufblitzen lassen, war wieder verschwunden.
»Simon, ich glaube, ich habe dort oben etwas glänzen sehen.«Sie deutete zum Bergkamm hinauf, eine gute Meile über ihnen. »Was war es?«, fragte er, aber sie zuckte nur die Achseln. »Eine Rüstung vielleicht, falls sich so spät am Tag überhaupt noch die Sonne darin spiegeln kann«, gab er sich selber zur Antwort, »oder die Wälle von Naglimund oder … wer weiß?« Er sah mit schmalen Augen nach der Höhe.
»Wir können den Weg nicht verlassen«, meinte er schließlich. »Jedenfalls nicht, bevor wir noch weiter oben sind, nicht solange es hell ist. Ich würde mir nie verzeihen, wenn wir Binabik nicht nach Naglimund bekämen, vor allem … wenn … wenn …«
»Ich weiß, Simon, aber ich glaube nicht, dass wir es heute noch bis ganz über den Gipfel schaffen.« Marya trat gegen einen Stein, der über das Pflaster ins hohe Gras rollte. Sie zuckte zusammen. »Ich habe an einem Fuß mehr Blasen als vorher in meinem ganzen leben. Und es kann nicht gut für Binabik sein, wenn er die ganze Nacht auf dem Rücken der Wölfin hin und her rutscht.« Marya sah ihm in die Augen. » Wenn er es überhaupt überlebt. Du hast das Menschenmögliche getan, Simon. Es ist nicht deine Schuld.«
»Ich weiß!«, versetzte Simon zornig. »Gehen wir trotzdem! Wir können im Laufen weiterreden.«
Sie stapften weiter. Es dauerte nicht lange, bis die Weisheit in Maryas Worten sich unangenehm bemerkbar machte. Auch Simon war so zerkratzt und voller Blasen und blauer Flecke, dass er sich am liebsten fallen gelassen und losgeheult hätte – ein anderer Simon, der, der im labyrinthischen Hochhorst sein Burgjungenleben gelebt hatte, hätte es getan, hätte sich auf einen Stein gesetzt und ein Abendessen und Schlaf gefordert. Aber Simon hatte sich verändert; er haderte immer noch mit seinem Schicksal, aber jetzt gab es wichtigere Dinge.
Endlich fing sogar Qantaqa an zu lahmen. Es hatte wirklich keinen Sinn, sie alle zu Krüppeln zu schinden, und Simon war gerade bereit nachzugeben, als Marya wieder ein Licht auf dem Bergkamm sah. Diesmal konnte es keine Spiegelung der Sonne gewesen sein, denn schon senkte sich blaue Dämmerung über die Hänge.
»Fackeln!«, stöhnte Simon. »Usires! Warum jetzt, da wir fast oben sind?«
»Das ist es wahrscheinlich gerade. Dieses Ungeheuer, dieser Schwarze Rimmersmann muss zur Spitze der Steige vorgestoßen sein, um dort auf uns zu warten. Wir müssen vom Weg runter!«
Mit bleischwerem Herzen verließen sie sofort
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