Der Drachenbeinthron
Wenn ich nein sage, hält mich jeder für einen Feigling!«
»Simon.« Der kleine Mann setzte eine geduldige Miene auf. »Erstens: Versuche nicht an mir deine neu gelernten Soldatenflüche. Wir Qanuc sind ein höfliches Volk. Zweitens: Es tut nicht gut, sich über anderer Leute Meinungen so viele Gedanken zu machen. Abgesehen davon wird Naglimund bestimmt kein guter Ort für Feiglinge sein.«
Simon zischte eine große, frostige Atemwolke hervor und legte die Arme schützend um seinen Brustkorb. Er starrte zum trüben Himmel hinauf nach dem stumpfen, verschwommenen Sonnenfleck, der sich hinter den Wolken verbarg. Warum entscheiden immer andere für mich, ohne mich vorher zu fragen? Bin ich ein Kind?
Eine Weile stand er so da, mit vor Kälte und Zorn gerötetem Gesicht, bis Binabik eine kleine, sanfte Hand nach ihm ausstreckte.
»Mein Freund, es tut mir leid, dass dies nicht die Ehre für dich ist, die ich erhofft hatte – eine Ehre der schrecklichen, allzu schrecklichen Gefahr natürlich, aber doch eine Ehre. Ich habe erklärt, welche Bedeutung wir dieser Suche beimessen, wie das Schicksal Naglimunds und des ganzen Nordens von ihrem Erfolg abhängt. Und selbstverständlich auch, dass wir vielleicht alle ohne Sang und Klang in der weißen Öde des Nordens untergehen können.« Er klopfte feierlich Simons Handknöchel und griff dann in die Tasche seiner pelzgefütterten Jacke. »Hier«, sagte er und legte etwas Hartes und Kaltes in Simons Finger.
Für einen Augenblick abgelenkt, öffnete der Junge die Hand und schaute. Es war ein Ring, ein glatter, dünner Reif aus goldenemMetall. Ein einfaches Zeichen war darauf eingraviert: ein längliches Oval mit einem spitzen Dreieck an einem Ende.
»Das Fischsymbol des Bundes der Schriftrolle«, erklärte Binabik. »Morgenes band ihn an das Bein des Sperlings, zusammen mit der Nachricht, von der ich dir schon erzählt habe. Am Schluss der Botschaft stand, dass es für dich sein sollte.«
Simon hielt den Ring in die Höhe und versuchte, einen Strahl des trüben Sonnenlichtes damit einzufangen. »Ich habe ihn nie an Morgenes gesehen«, meinte er schließlich, ein wenig überrascht, dass der Ring keine Erinnerungen in ihm weckte. »Haben die Angehörigen des Bundes alle einen? Und wie könnte ich würdig sein, ihn zu tragen? Ich kann gerade lesen, und meine Rechtschreibung ist alles andere als gut.«
Binabik lächelte. »Mein Meister hatte keinen solchen Ring, oder zumindest habe ihn nie damit gesehen. Und was das andere betrifft: Morgenes wollte, dass du ihn trägst, und das, davon habe ich Überzeugung, ist Erlaubnis genug.«
»Binabik«, bemerkte Simon mit zusammengekniffenen Augen, »es sind Worte darin eingraviert.« Er hielt dem Troll den Ring hin. »Ich kann es nicht lesen.«
Der Troll machte schmale Pupillen. »Es ist Schrift in einer Sithisprache«, meinte er und drehte den Ring, um auf der Innenseite zu lesen, »schwer zu entziffern, weil sie sehr klein und in einem Stil abgefasst ist, den ich nicht kenne.« Er studierte einen Augenblick länger.
»›Drache‹, dieses Zeichen heißt Drache«, las er dann doch. »Und das hier, glaube ich, ›Tod‹ … ›Tod und Drache‹? … ›Tod des Drachen‹?« Er sah zu Simon auf, grinste und zuckte die Achseln. »Ich habe keine Ahnung, was es bedeuten könnte. Mein Wissen reicht nicht tief genug. Irgendein Einfall unseres Doktors, könnte ich mir vorstellen – oder vielleicht ein Familienwahlspruch. Vielleicht kann Jarnauga es lesen.«
Der Ring glitt so bequem auf den dritten Finger von Simons rechter Hand, als sei er für ihn gemacht. Morgenes war doch so klein gewesen! Wie hatte er ihn tragen können?
»Glaubst du, dass es ein Zauberring ist?«, fragte Simon unvermittelt und kniff wieder die Augen zusammen, als könne er auf dieseArt die Zauber entdecken, die den goldenen Reif umschwärmten wie winzige Bienen.
»Wenn ja«, antwortete Binabik halb spöttisch, halb düster, »dann hat Morgenes keine Zauberlehre mitgeschickt, die seinen Gebrauch erläutert.«
Er schüttelte langsam den Kopf. »Ich halte es nicht für eine Wahrscheinlichkeit. Ein Andenken von einem Mann, der dich gern gehabt hat.«
»Und warum gibst du ihn mir gerade jetzt?«, fragte Simon, der einen gewissen schmerzlichen Druck hinter den Augen spürte, dem er sich entschlossen zu widersetzen gedachte.
»Weil ich morgen Abend nach dem Norden aufbrechen muss. Wenn du dich entscheidest hierzubleiben, werden wir vielleicht keine Gelegenheit haben,
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