Der Drachenbeinthron
Prozession von Steinen versank im Brunnen. Simon stand betreten daneben.
»Entschuldige, Simon«, meinte sie nach einer Weile. »Ich kann gar nicht mehr richtig mit Menschen reden. Meine alte Kinderfrau wäre entsetzt, was ich alles vergessen habe, als ich mich im Wald herumtrieb. Wie geht es dir, und was hast du die ganze Zeit getan?«
»Binabik hat mich aufgefordert, ihn auf einer Mission für Josua zu begleiten«, erklärte er und brachte das Thema übergangsloser zur Sprache, als er eigentlich vorgehabt hatte. »In den Norden«, fügte er bedeutungsvoll hinzu.
Anstatt, wie er erwartet hätte, einen Ausdruck von Sorge und Furcht anzunehmen, schien das Gesicht der Prinzessin plötzlich voninnen zu strahlen; obwohl sie ihn anlächelte, schien sie ihn gar nicht richtig zu sehen. »Ach, Simon«, sagte sie, »wie tapfer. Wie großartig. Kannst du … wann reist ihr ab?«
»Morgen Abend«, antwortete er und war sich unklar bewusst, dass durch irgendeinen geheimnisvollen Vorgang sich die Möglichkeit in eine Tatsache verwandelt hat. »Aber ich habe mich noch nicht entschlossen«, beharrte er schwächlich. »Ich dachte, vielleicht braucht man mich in Naglimund nötiger – um auf den Mauern den Speer zu führen.« Das letzte hatte er nur für den Fall hinzugefügt, dass sie vielleicht denken könnte, er wolle zurückbleiben, um in der Küche zu arbeiten oder sonst etwas in dieser Richtung.
»Oh, aber Simon«, sagte Miriamel und griff plötzlich nach seiner kalten Hand, um sie mit ihren lederumhüllten Fingern zu umschließen. »Wenn mein Onkel dich braucht, dann musst du gehen! Nach allem, was ich gehört habe, bleibt uns so wenig Hoffnung.«
Sie griff an ihren Hals und löste rasch den himmelblauen Schal, den sie trug, einen schmalen, durchschimmernden Stoffstreifen, und reichte ihn Simon. »Nimm das und trag es für mich«, bat sie. Simon fühlte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. Mühsam kämpfte er dagegen an, dass sich seine Lippen zu einem überforderten Mondkalbgrinsen verzogen.
»Habt Dank … Prinzessin …«, brachte er endlich heraus.
»Wenn du es trägst«, sagte sie und streckte sich, »wird es beinahe so sein, als wäre ich selber dort.« Sie machte einen komischen kleinen Tanzschritt und lachte.
Simon versuchte erfolglos zu begreifen, was da eigentlich gerade geschehen war und wie es so schnell geschehen konnte. »So wird es sein, Prinzessin«, sagte er. »Als ob Ihr da wärt.«
Etwas in der Art, wie er es sagte, ließ ihre jähe Anwandlung umkippen; ihre Miene wurde nüchtern, sogar traurig. Wieder lächelte sie, ein langsames, trübes Lächeln. Dann machte sie einen schnellen Schritt auf Simon zu, der darüber so erschrak, dass er um ein Haar die Hand gehoben und sie abgewehrt hätte. Mit kühlen Lippen streifte sie seine Wange.
»Ich weiß, dass du tapfer sein wirst, Simon. Komm heil zurück. Ich werde für dich beten.«
Gleich darauf war sie fort, über den Hof davongerannt wie ein kleines Mädchen, der dunkle Umhang wirbelte wie Rauch hinter ihr, als sie im dämmrigen Torbogen verschwand.
Simon stand da und hielt ihren Schal fest in der Hand. Er dachte an ihn und an ihr Lächeln, als sie seine Wange küsste, und er fühlte, wie in seinem Inneren eine Flamme zu glühen begann. Auf eine Weise, die er nicht völlig begriff, schien es, als sei gegen die grenzenlose graue Kälte, die vom Norden her drohte, eine einsame Fackel entzündet worden. Nur ein einziger heller Lichtpunkt in einem furchtbaren Sturm … aber selbst ein einziges Feuer konnte einen Wanderer sicher nach Hause führen.
Er rollte das weiche Tuch zu einem Knäuel zusammen und steckte es in sein Hemd.
»Ich freue mich, dass Ihr so schnell gekommen seid«, sagte die Herrin Vara. Das Glitzern ihres gelben Kleides schien sich in ihren schwarzen Augen zu spiegeln.
»Die Herrin erweist mir Ehre«, erwiderte der Mönch und ließ den Blick durch den Raum schweifen.
Vara lachte rauh. »Ihr seid der Einzige, der es als Ehre betrachtet, mich aufzusuchen. Doch das ist mir gleich. Ihr versteht, was Ihr zu tun habt?«
»Ich bin sicher, dass ich es richtig verstanden habe. Die Angelegenheit ist schwierig zu erledigen, doch leicht zu begreifen.« Er neigte das Haupt.
»Gut. Dann säumt nicht, denn je länger Ihr wartet, desto geringer ist die Aussicht auf Erfolg. Außerdem wächst die Möglichkeit, dass es Gerede gibt.« Sie wirbelte herum und ging seidenrauschend in das Hinterzimmer.
»Ach … Herrin?« Der Mann hauchte seine
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