Der Drachenbeinthron
Troll in den Regeln des Singens unterwiesen zu werden.« Das kalte Lächeln kehrte kurz zurück. »Du darfst uns mit deinen Ermahnungen verschonen … und mit deinen fragwürdigen Übersetzungen. Heb deinen Pfeil auf und bring ihn mir.« Er zischte den beiden anderen einige Worte zu. Die beiden Sithi warfen noch einen Blick auf Simon und den Troll und jagten dann mit erstaunlicher Geschwindigkeit den Berg hinauf. Unter ihren Füßen schien sich der Schnee kaum zu vertiefen, so rasch und leicht waren ihre Schritte. Der dritte zielte weiterhin mit seinem Pfeil in Simons Richtung, während Binabik sich zu dem Köcher hinunterbückte und mit dem Weißen Pfeil in der Hand langsam vorwärtsstapfte.
»Gib ihn mir«, befahl der Sitha. »Federn voran, Troll. Und nun geh zurück zu deinem Gefährten.«
Er verringerte die Spannung seines Bogens, um den schlanken weißen Gegenstand zu untersuchen, wobei er den Pfeil vorwärtsgleiten ließ, bis die Sehne fast schlaff war und er den aufgelegten Pfeil und das Bogenholz mit einer Hand festhalten konnte. Simon bemerkte erst jetzt, wie flach und kratzend sein eigener Atem ging. Er ließ die zitternden Hände sinken. Binabiks Schritte knirschten im Schnee, als er sich neben Simon stellte.
»Er wurde diesem jungen Mann für einen Dienst verliehen, den erjemandem erwiesen hat«, erklärte Binabik trotzig. Der Sitha sah ihn an und zog die schrägen Brauen hoch.
Auf den ersten Blick schien er jenem Schönen sehr ähnlich zu sein, den Simon auf seiner Flucht zu Gesicht bekommen hatte – die gleichen hohen Wangenknochen und seltsam vogelähnlichen Bewegungen. Er trug Hose und Jacke aus schimmernd weißem Stoff, an Schultern, Ärmeln und Gürtel mit schmalen, dunkelgrünen Schuppen gesprenkelt. Das Haar, fast schwarz, aber ebenfalls fremdartig grün schimmernd, war vor den Ohren zu zwei kunstvollen Zöpfen geflochten. Stiefel, Gürtel und Köcher bestanden aus weichem, milchweißem Leder. Simon begriff, dass er den Sitha nur sehen konnte, weil dieser hangaufwärts stand und sich vom grauen Himmel abhob; hätte der Schöne vor einem Schnee-Hintergrund gestanden, inmitten von Bäumen, wäre er unsichtbar gewesen wie der Wind.
»Isi-isi’ye!« , murmelte der Sitha betroffen und hielt den Pfeil gegen die verhüllte Sonne. Dann ließ er ihn wieder sinken, starrte Simon einen Augenblick überrascht an und bekam schmale Augen.
»Wo hast du das gefunden, Sudhoda’ya?« , fragte er barsch. »Wie kommt jemand wie du zu einem solchen Gegenstand?«
»Es war ein Geschenk!«, antwortete Simon, dessen Wangen allmählich wieder Farbe annahmen. Auch seine Stimme klang wieder fest. Er wusste, was er wusste. »Ich habe einen Mann deines Volkes gerettet. Er schoss den Pfeil in einen Baum und verschwand.«
Wieder musterte der Sitha ihn prüfend und schien noch etwas sagen zu wollen. Dann wandte er jedoch seine Aufmerksamkeit dem Berghang zu. Ein Vogel trillerte einen langen, komplizierten Pfiff – das dachte zumindest Simon, bis er die leichte Bewegung der Lippen des weißgekleideten Sitha bemerkte, der still wie eine Statue wartete, bis ein anderer Triller ihm antwortete.
»Geht jetzt vor mir her«, befahl er und winkte dem Troll und dem Jungen mit seinem Bogen. Mühsam kletterten sie den steilen Hang hinauf, leichtfüßig gefolgt von ihrem Ergreifer, der immer wieder langsam den Weißen Pfeil in seinen schmalen Fingern drehte.
Nach ein paar Hundert Herzschlägen hatten sie die Bergkuppe erreicht und stiegen auf der anderen Seite wieder hinab. Dorthockten vier Sithi um einen von Bäumen eingefassten, verschneiten Graben; die beiden, die Simon schon gesehen hatte, nur an der bläulichen Färbung der geflochtenen Haare erkennbar, und ein zweites Paar mit rauchgrauen Flechten, deren goldene Gesichter so faltenlos waren wie die der anderen. Auf dem Boden des Grabens, unter dem drohenden Viereck der Sithipfeile, saßen Haestan, Grimmric und Sludig. Alle drei waren blutverschmiert und zeigten den hoffnungslos trotzigen Gesichtsausdruck in die Enge getriebener Tiere.
»Bei Sankt Eahlstans Gebeinen !«, fluchte Haestan, als er die Neuankömmlinge erkannte. »Ach Gott, Junge, hab gehofft, du wärst über alle Berge.« Er schüttelte den Kopf. »Na, immer noch besser als tot, denk ich.«
»Siehst du es jetzt, Troll?«, fragte Sludig bitter, das bärtige Gesicht rot verschmiert. »Siehst du, was wir über uns gebracht haben? Dämonen! Nie hätten wir über ihn spotten dürfen … über den Dunklen.«
Der
Weitere Kostenlose Bücher