Der Drachenbeinthron
gewisse Wärme bemerkbar. Es musste ganz einfach sein, jetzt durch den Saal zu gehen und die beiden anzusprechen. Hepzibah hatte so etwas, eine gewisse Keckheit um Augen und Mund, wenn sie lachte … Mit einem mehr als nur leichten Schwindelgefühl trat Simon in den Saal zurück. Das Stimmengewirr umbrandete ihn wie eine Flut.
Augenblick, Augenblick, dachte er, und plötzlich wurde ihm heiß und Angst stieg in ihm auf, wie kann ich einfach zu ihnen hingehen und sie ansprechen – merken sie dann nicht, dass ich sie beobachtet habe? Werden sie nicht …
»Heda, fauler Bauerntölpel! Bring uns noch etwas von diesem Wein!«
Simon fuhr herum und erblickte Graf Fengbald, rot im Gesicht, der ihm vom Tisch des Königs mit dem Pokal zuwinkte. Die Mägde im Korridor schlenderten davon. Simon rannte nach der Nische zurück, um seine Kanne zu holen, und musste sie aus einem Hundeknäuel befreien, in dem sich um ein Kotelett gestritten wurde. Ein Welpe, jung und mager, einen weißen Fleck im braunen Gesicht, winselte am Rand der Meute; mit den größeren Hunden konnte er es nicht aufnehmen. Simon fand auf einem verlassenen Stuhl einen Fetzen fettiger Kruste und warf ihn dem Hündchen zu, das mit dem Stummelschwanz wedelte und den Leckerbissen sofort verschlang. Dann heftete es sich an Simons Fersen, der die Kanne durch den Saal trug.
Fengbald und Guthwulf, der großmäulige Graf von Utanyeat, führten einen Wettkampf in einer Art Armdrücken durch. Sie hatten die Dolche gezogen und neben ihren Armen in die Tischplatte gerammt. Simon lief, so behende er konnte, um den Tisch herum, goss Wein in die Becher der johlenden Zuschauer und bemühte sich, nicht über den Hund zu stolpern, der ihm ständig zwischen den Füßen herumsprang. Der Kronprinz sah dem Wettkampf amüsiert zu, hatte jedoch seinen eigenen Pagen hinter sich, sodass Simon ihm nicht den Pokal füllte. Zuletzt schenkte er Pryrates ein und wichdabei dem Blick des Priesters aus. Doch konnte er nicht umhin, den seltsamen Geruch des Mannes zu bemerken, eine rätselhafte Mischung aus Metall und allzu süßen Gewürzen. Als er zurücktrat, sah er das Hündchen neben Pryrates im Stroh herumwühlen, irgendeinem heruntergefallenen Schatz auf der Spur.
»›Komm her!«, zischte Simon und klopfte auf sein Knie. Aber der Hund achtete nicht auf ihn. Er begann mit beiden Pfoten zu scharren und stieß mit dem Rücken an die rot umhüllte Wade des Priesters. »Komm doch!«, flüsterte Simon wieder.
Pryrates wandte den Kopf, um nach unten zu blicken. Langsam drehte sich der glänzende Schädel auf dem langen Hals. Er hob den Fuß und ließ seinen schweren Stiefel auf das Rückgrat des Hundes niedersausen – eine geschwinde, knappe Bewegung, die nur einen Herzschlag dauerte. Knochen splitterten, ein ersticktes Aufjaulen: Der kleine Hund wand sich hilflos im Stroh, bis Pryrates ein zweites Mal den Absatz hob und ihm den Schädel zerschmetterte.
Der Priester schaute einen Augenblick teilnahmslos auf den Leichnam und hob dann den Kopf. Seine Augen hefteten sich auf Simons entsetztes Antlitz. Der kalte Blick – ohne Reue, ohne Betroffenheit – packte den Jungen und hielt ihn fest. Pryrates’ tote Augen flackerten noch einmal hinab zu dem Hündchen und wandten sich dann wieder Simon zu. Langsam breitete sich ein Lächeln über das Gesicht des Priesters aus. Was kannst du dagegen tun, Junge? , schien es zu sagen. Und wen kümmert es schon?
Die Aufmerksamkeit des Priesters wurde wieder auf die Tafel gelenkt. Simon, befreit, ließ die Kanne fallen und stolperte hinaus, auf der Suche nach einem Ort, an dem er sich übergeben konnte.
Es war kurz vor Mitternacht. Gut und gern die Hälfte der Feiernden war zu Bett getaumelt oder dorthin getragen worden. Es schien äußerst fraglich, ob viele von ihnen morgen bei der Krönung überhaupt anwesend sein würden. Simon goss gerade den stark gewässerten Wein, den Peter Goldschüssel um diese Zeit ausschließlich noch kredenzen ließ, in den Becher eines betrunkenen Gastes, als Graf Fengbald, der als Einziger von der Gesellschaft des zukünftigen Königs übriggeblieben war, vom Anger draußen in die Hallestolperte. Der junge Edelmann sah zerzaust aus und seine Hosen standen halb offen, aber sein Gesicht zeigte ein seliges Lächeln.
»Kommt alle nach draußen!«, rief er. »Kommt sofort hinaus! Kommt und seht!« Er schwankte wieder zur Tür. Wer noch dazu fähig war, stand auf und folgte ihm. Die Männer rempelten einander an und machten
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