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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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gelegt hatte –, »weil sie Zeit und Raum sicherer umspannen als alle Zaubersprüche und Wundermittel. Was hat der-und-der vor zweihundert Jahren über das-unddas gedacht? Kannst du durch die Zeiten zurückfliegen und ihn fragen? Nein – oder doch vermutlich eher nicht.
    Aber … wenn er seine Gedanken aufgeschrieben hat, wenn es irgendwo eine Schriftrolle oder ein Buch mit seinen Abhandlungen zur Logik gibt … dann spricht er zu dir, über Jahrhunderte hinweg! Und wenn du ins ferne Nascadu oder ins verschollene Khandia reisen willst, brauchst du auch nur ein Buch aufzuschlagen …«
    »Ja, ja, ich glaube, das verstehe ich alles.« Simon versuchte gar nicht erst, seine Enttäuschung zu verhehlen. Das war nicht das, was er mit dem Wort Magie gemeint hatte. »Und was ist mit den Fallen? Wieso Fallen?«
    Morgenes beugte sich vor und wedelte mit dem in Leder gebundenen Folianten vor Simons Nase herum. »Alles Geschriebene ist eine Falle«, meinte er vergnügt, »und zwar von der besten Sorte. Siehst du, ein Buch ist die einzige Fallenart, die ihren Gefangenen, nämlich das Wissen, für immer lebendig hält. Je mehr Bücherman hat«, der Doktor machte eine weit ausgreifende Geste quer durch das ganze Zimmer, »je mehr Fallen hat man, und desto größer ist die Chance, ein ganz besonderes, scheues, glänzendes Tier zu fangen, das sonst vielleicht stirbt, ohne dass jemand es zu Gesicht bekommen hat.« Morgenes schloss mit großem Nachdruck, indem er das Buch mit lautem Knall wieder auf den Stapel warf. Eine winzige Staubwolke stieg auf, deren Körnchen in den Lichtstrahlen herumwirbelten, die durch die Fenstergitter in den Raum fielen.
    Einen Augenblick starrte Simon auf den schimmernden Staub und konzentrierte sich. Den Worten des Doktors zu folgen glich dem Versuch, mit Fausthandschuhen Mäuse zu fangen.
    »Aber wie steht es mit der wirklichen Magie?«, fragte er endlich, und zwischen seinen Brauen stand eine hartnäckige Falte. »Magie – wie das, was Pryrates angeblich oben im Turm treibt?«
    Für einen kurzen Moment verzerrte ein zorniger – oder war es ein ängstlicher? – Ausdruck die Züge des Doktors.
    »Nein, Simon«, sagte er dann ruhig. »Komm mir nicht mit Pryrates. Das ist ein gefährlicher Mann und ein törichter dazu.«
    Trotz seiner eigenen schrecklichen Erinnerungen an den roten Priester fand Simon die Eindringlichkeit im Blick des Doktors seltsam und ein wenig furchterregend. Er nahm allen Mut zusammen und fragte weiter: »Auch Ihr betreibt doch Magie, oder nicht? Warum ist dann Pryrates gefährlich?«
    Morgenes stand plötzlich auf, und einen wilden Moment lang fürchtete Simon, der Alte werde ihn schlagen oder anschreien. Stattdessen ging Morgenes steif zum Fenster und starrte eine kleine Weile hinaus. Von Simons Platz aus sahen die dünnen Haare des Doktors aus wie ein stachliger Heiligenschein über seinen schmalen Schultern.
    Morgenes drehte sich um und kam zurück. Sein Gesicht war ernst, schien von Zweifeln gequält. »Simon«, begann er, »wahrscheinlich wird es nichts nützen, wenn ich dir das sage, aber ich möchte, dass du dich von Pryrates fernhältst. Geh nicht zu ihm hin und rede nicht über ihn … außer mit mir natürlich.«
    »Aber warum?« Im Gegensatz zu dem, was der Doktor glaubte,hatte Simon schon längst beschlossen, einen großen Bogen um den Alchimisten zu machen. Aber Morgenes war sonst nicht so gesprächig, und Simon wollte die Gelegenheit nicht ungenutzt lassen. »Was ist so schlecht an ihm?«
    »Ist dir aufgefallen, dass die Menschen sich vor Pryrates fürchten? Dass sie sich beeilen, ihm aus dem Weg zu gehen, wenn er von seiner neuen Wohnung im Hjeldinturm herunterkommt? Es gibt einen Grund dafür. Man fürchtet ihn, weil ihm selbst die richtige Art von Furcht fehlt. Es steht in seinen Augen.«
    Simon steckte den Federkiel in den Mund und fing an, nachdenklich darauf herumzukauen. Er nahm ihn wieder heraus, um zu fragen: »Die richtige Art von Furcht? Was heißt das?«
    »Es gibt niemanden, der furchtlos ist, Simon, es sei denn, er wäre verrückt. Leute, die man furchtlos nennt, verbergen ihre Furcht meist nur geschickt, und das ist etwas ganz anderes. Der alte König Johan wusste, was Furcht ist, und ganz bestimmt wissen es seine beiden Söhne. Auch ich weiß es. Aber Pryrates … nun, die Leute sehen, dass er das, was wir fürchten oder respektieren, nicht achtet. Oft ist es diese Eigenschaft, die wir meinen, wenn wir jemanden als verrückt bezeichnen.«
    Simon fand

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