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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Alte, wischte sich den Mund ab und lächelte. »Die meisten von uns sind erst dann imstande, von der Kunst Gebrauch zu machen, wenn sie alt genug sind, es besser zu wissen. Für die Jungen ist es zu gefährlich, Simon.«
    »Aber …«
    »Wenn du jetzt sagst, ›aber Pryrates‹, gebe ich dir einen Tritt«, erklärte Morgenes. »Ich habe dir schon einmal gesagt, dass er ein Wahnsinniger ist – oder doch beinahe. Er sieht nur die Macht, die man mithilfe der Kunst gewinnen kann, und achtet nicht auf die Folgen. Frag mich nach den Folgen, Simon.«
    Gelangweilt hakte Simon nach: »Und was ist mit den Fol–«
    »Man kann keine Kraft in Gang setzen, ohne dafür zu bezahlen,Simon. Wenn du eine Pastete stiehlst, geht jemand anderes leer aus. Wenn du ein Pferd zu schnell reitest, stirbt das Tier. Wenn du die Kunst dazu verwendest, Türen zu öffnen, hast du in der Auswahl deiner Gäste wenig Freiheit.«
    Enttäuscht sah Simon sich in dem staubigen Zimmer um. »Warum habt Ihr diese Zeichen über Eure Tür gemalt, Doktor?«, fragte er nach einer Weile.
    »Damit die Hausgäste eines anderen nicht zu mir kommen.« Morgenes bückte sich, um den Humpen abzustellen. Dabei glitt etwas Goldenes und Glänzendes aus dem Kragen seines grauen Gewandes und fiel nach unten, wo es an einer Kette baumelte. Der Doktor schien es nicht zu bemerken. »Ich sollte dich jetzt zurückschicken. Aber erinnere dich an diese Lektion, Simon, eine Lektion für Könige … oder ihre Söhne. Nichts ist umsonst! Jede Macht hat ihren Preis, und nicht immer erkennt man ihn sofort. Versprich mir, dass du das nicht vergisst.«
    »Ich verspreche es, Doktor.« Simon, der die Wirkung des Weinens und Geschreis von vorhin zu fühlen begann, war es schwindlig wie nach einem Wettlauf. »Was ist das?«, fragte er und beugte sich vor, um den goldenen, hin- und herpendelnden Gegenstand zu betrachten. Morgenes legte ihn auf seine Handfläche und ließ Simon einen kurzen Blick darauf tun.
    »Es ist eine Feder«, erklärte er knapp. Als er das glänzende Ding wieder in sein Gewand versenkte, sah Simon, dass das Ende der Goldfeder an einer Schriftrolle aus perlweißem Stein befestigt war.
    »Eine Feder zum Schreiben«, sagte er verwundert, »ein Federkiel, nicht wahr?«
    »Also gut, eine Schreibfeder«, knurrte Morgenes. »Wenn du nichts Besseres zu tun hast, als mich über meinen Schmuck auszufragen, dann troll dich! Und vergiss dein Versprechen nicht. Denk daran!«
    Als Simon durch die heckengesäumten Hofgärten zu den Dienstbotenquartieren zurückwanderte, grübelte er über die Ereignisse dieses seltsamen Vormittags nach. Der Doktor hatte die Sache mitdem Brief herausgefunden, ihn aber weder bestraft noch endgültig hinausgeworfen. Zugleich hatte er es aber abgelehnt, Simon etwas über Magie beizubringen. Und warum hatte seine Bemerkung über den Federkielanhänger den alten Mann so gereizt?
    Nachdenklich zupfte Simon an den dürren, knospenlosen Rosenbüschen und stach sich an einem versteckten Dorn in den Finger. Fluchend hielt er die Hand in die Höhe. Das helle Blut an seiner Fingerspitze sah aus wie eine rote Kugel, eine einzelne purpurne Perle. Er steckte den Finger in den Mund und schmeckte Salz.

    In der dunkelsten Stunde der Nacht, am äußersten Zipfel des Allernarrentages, hallte ein furchtbarer Donnerschlag durch den Hochhorst. Er schüttelte die Schläfer in den Betten wach und erzeugte in den dunklen Glockentrauben des Engelsturms einen langen, mitfühlenden Ton.
    Ein paar junge Priester, die in dieser einzigen Nacht des Jahres, in der sie die Freiheit genossen, das Mitternachtsgebet fröhlich vernachlässigen zu dürfen, warf es von den Schemeln, auf denen sie gesessen, Wein in sich hineingeschüttet und Bischof Domitis verunglimpft hatten. Die Kraft des Schlages war so gewaltig, dass selbst die Betrunkenen die Woge des Grauens fühlten, die sie überschwemmte, als hätten sie an einer gut versteckten Stelle ihres tiefsten Inneren schon immer gewusst, dass Gott eines Tages seinen Unwillen kundtun würde.
    Aber als die zerzauste, erschreckte Truppe sich im Hof zusammendrängte, um zu sehen, was sich ereignet hatte, geschorene Ministrantenköpfe im seidigen Mondlicht wie bleiche Pilze, da fanden sie keine Zeichen des Weltuntergangs, mit dem sie alle gerechnet hatten. Abgesehen von ein paar Gesichtern, die neugierig aus den Fenstern spähten und die anderen, durch den Schlag aufgeschreckten Burgbewohnern gehörten, war die Nacht ungetrübt und klar.
    In

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