Der Drachenbeinthron
seinem schmalen Bett hinter dem Vorhang, seinem Nest inmitten der so sorgsam gehorteten Schätze, träumte Simon. Im Traumkletterte er auf eine Säule aus schwarzem Eis, jede mühevolle Spanne aufwärts zunichte gemacht von einem fast ebenso weiten Hinunterrutschen. Zwischen den Zähnen hielt er ein Pergament, irgendeine Botschaft. Ganz oben in der kalt brennenden Säule befand sich eine Tür, und im Türrahmen kauerte etwas Dunkles, das auf ihn wartete … auf die Botschaft wartete.
Als er endlich die Schwelle erreicht hatte, schoss schlangenartig eine Hand hervor und riss das Pergament mit tintenschwarzer, dunstiger Faust an sich. Simon versuchte zurückzugleiten, sich nach hinten fallen zu lassen, aber aus der Tür schoss eine zweite Klaue und packte sein Handgelenk. Er wurde hochgezerrt und blickte auf ein Augenpaar, das rot glühte wie zwei scharlachrote Löcher im Bauch eines schwarzen Höllenofens …
Nach Atem ringend, erwachte er und vernahm die mürrischen Stimmen der Glocken, die stöhnend ihrem Missvergnügen Ausdruck gaben und dann wieder in kalten, brütenden Schlummer sanken.
Nur ein Mensch in der ganzen großen Burg behauptete, etwas gesehen zu haben: Caleb der Pferdejunge, Shems Gehilfe, der ein wenig langsam von Verstand war. Er war schrecklich aufgeregt gewesen und hatte die ganze Nacht nicht schlafen können. Am nächsten Morgen sollte er zum Narrenkönig gekrönt und auf den Schultern der jungen Priester durch die Burg getragen werden, die unzüchtige Lieder singen und mit Hafer und Blütenblättern werfen würden. Danach sollten sie ihn in den Speisesaal bringen, wo er von seinem falschen Thron aus dem Schilf des Gleniwentflusses dem Allernarrenbankett vorsitzen würde.
Der Pferdebursche erzählte jedem, der ihm zuhören wollte, er hätte nicht nur das große Brüllen vernommen, sondern auch Worte gehört, eine dröhnende Stimme, in einer Sprache, von der Caleb nur sagen konnte, dass sie »böse« war. Er schien sich auch einzubilden, dass er gesehen hätte, wie eine riesige feurige Schlange aus dem Fenster des Hjeldinturms herausgesprungen war und sich in flammenden Windungen um den Turm gelegt hatte, um dann schließlich in einem Funkenregen zu vergehen.
Niemand achtete weiter auf Calebs Geschichte – nicht ohne Grund hatte man den einfältigen Jungen zum Narrenkönig gewählt. Außerdem brachte die Morgendämmerung dem Hochhorst etwas, das jeden nächtlichen Donner und sogar die schönen Aussichten des Narrentages in den Hintergrund treten ließ. Das Tageslicht machte eine Wolkenbank sichtbar, die sich am nördlichen Horizont duckte wie eine Herde fetter, grauer Schafe – Regenwolken.
»Bei Drors blutrotem Hammer, Uduns schrecklichem Einauge und … und … und bei unserm Herrn Usires! Es muss etwas geschehen!«
Herzog Isgrimnur, der vor Zorn schier seine ganze ädonitische Frömmigkeit vergaß, schlug mit der narbigen, pelzknöchligen Pranke so hart auf die Große Tafel, dass noch sechs Fuß weiter hinten das Geschirr einen Satz machte. Sein breiter Körper schwankte wie ein überladenes Schiff im Sturm, als er vom einen Ende der Tafel zum anderen blickte und dann die Faust noch einmal niedersausen ließ. Ein Pokal schwankte kurz hin und her und ergab sich dann der Schwerkraft.
»Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, Majestät!«, brüllte Isgrimnur und zupfte wütend an seinem gürtellangen Bart. »Die Frostmark ist in einem Zustand verdammter Anarchie! Während ich mit meinen Männern hier herumhocke wie Astknorren an einem Stamm, ist die Frostmarkstraße zum Schleichweg für Räuber geworden. Und ich habe seit über zwei Monaten keine Nachricht aus Elvritshalla!« Der Herzog stieß einen so gewaltigen Atemzug aus, dass sein Schnurrbart flatterte. »Mein Sohn ist in furchtbarer Bedrängnis, und ich kann nichts tun! Wo bleiben Schutz und Sicherheit des Hochkönigs, Herr?«
Rot wie eine Rübe ließ sich der Rimmersmann in seinen Stuhl zurückfallen. Elias hob lässig eine Braue und warf einen Blick auf die anderen Ritter, die rund um den Tisch verstreut saßen und an Zahl von den leeren Stühlen zwischen ihnen weit übertroffen wurden. Die Fackeln in den Halterungen warfen lange, flackernde Schatten auf die hohen Wandteppiche.
»Nun – nachdem unser bejahrter, doch ehrenwerter Herzog seine Meinung kundgetan hat – möchte sich noch jemand seinem Gesuch anschließen?« Elias spielte mit seinem Goldpokal, den er über die halbmondförmigen Narben im Eichenholz scharren ließ.
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