Der Dreissigjaehrige Krieg
für heutige Verhältnisse klein. Tief geht es hinunter an dieser Stelle; etwa 17 Meter unterhalb des Fensters im Ludvik-Flügel führt ein gepflasterter Weg an der gewaltigen Mauer vorbei, geradeaus fällt der Blick auf den lieblichen Burggarten. Die schöne Aussicht wird dem guten Dutzend Männer entgangen sein, die an einem kühlen Maivormittag 1618 in jenem Kanzleisaal der Prager Königsburg, dem Hradschin, miteinander rangen. Wenig später fielen zwei kaiserlich-katholische Statthalter und der Sekretär der Hofkanzlei dem vermeintlich sicheren Tod entgegen, durchs enge Fenster des grünen Zimmers der Böhmischen Kanzlei gezwängt von wütenden Adligen der protestantischen Stände. Nur weil die Wand an dieser Stelle schräg nach außen gebaut ist, zudem Simse den Fall abbremsten und sich am Fuß der Burg wohl allerlei Müll angesammelt hatte, kam das Trio lebend davon.
Tief bergab aber ging es von jenem Moment an mit der Stadt Prag, dem Königreich Böhmen, den angrenzenden deutschen Ländern, schließlich auch mit dem ganzen Kontinent – der Prager Fenstersturz wurde zur Initialzündung des Dreißigjährigen Krieges. Dass der Konflikt ausgerechnet im böhmischen Herzen Europas entbrennen würde, wer hätte das vorherzusagen gewagt? Viel weiter westlich und nördlich hatten sich gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Konfliktschauplätze geballt: ein Bürgerkrieg in Frankreich, Spaniens Kampf gegen die Abtrünnigen der Vereinigten Niederlande, der Zwist zwischen Dänemark und Schweden. Neben politischer Macht und Wirtschaftsinteressen war dabei, je länger, je mehr, das Gift religiöser Inbrunst am Werk.
Und doch war es kein Zufall, dass das Königreich mit der Hauptstadt Prag und den zugeordneten Provinzen Schlesien, Mähren sowie Ober- und Niederlausitz zur ersten Brandstelle des Krieges wurde. Hier, im reichen Zentrum Europas, ballten sich soziale wie wirtschaftliche, politische wie religiöse Konflikte der Zeit. Der österreichische Zweig der Habsburger-Dynastie wählte das Nachbarland im Norden zum »Experimentierfeld« einer militanten Gegenreformation, analysiert der Historiker Georg Schmidt. Die Folge des gescheiterten »Staatsgründungsexperiments«, wie Johannes Burkhardt den Prager Ständeaufstand genannt hat, war eine Katastrophe für das Land und seine Bewohner – sie wurden vertrieben, ermordet oder für die nächsten knapp 300 Jahre unter die Knute der Habsburger gezwungen.
Dabei konnte Böhmen auf eine lange Geschichte kultureller Eigenständigkeit zurückblicken. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts hatte Jan Hus mit Ideen für eine Kirchenreform und Zuwendung zur tschechischen Sprache Furore gemacht. Der brillante Theologe, zeitweilig Rektor der Prager Universität, wurde 1415 auf dem Konzil von Konstanz als Ketzer verbrannt. Seine subversive Lehre aber schwelte weiter und führte 1419 zum ersten Prager Fenstersturz, an dem sich zwei Jahrhunderte später die Rebellen gegen Habsburg ein Beispiel nahmen. Am Ende der sogenannten Hussitenkriege kehrten die meisten Böhmen 1434 zwar in den Schoß der noch ungeteilten Kirche zurück, erhielten aber das Recht, das Abendmahl in beiderlei Gestalt (lateinisch: sub utraque specie) einzunehmen. In der Folgezeit »erlebten Prag und andere böhmische Städte immer wieder Phasen religiöser Gewalt«, resümiert der US -Historiker Howard Louthan. Es gab Zusammenstöße zwischen den sogenannten Utraquisten und den Rom-Treuen, im Lauf des 16. Jahrhunderts traten viele böhmische Adlige zur neuen Lehre Luthers über. Das Verhältnis zwischen Kirche, Landständen und Volk blieb schwierig.
Das wäre eigentlich nur die Böhmen etwas angegangen, hätte das Königreich nicht auch eine Stimme bei der Wahl des römisch-deutschen Kaisers gehabt. Jahrhundertelang machte das keine Probleme. Doch in den zunehmend verhärteten Religionsfronten des frühen 17. Jahrhunderts erhielt Böhmen plötzlich Bedeutung als Zünglein an der Waage: Auf Prag entfiel die Stimme, die das mögliche Patt zwischen den katholischen Kur-Erzbischöfen (Köln, Mainz, Trier) und der Protestanten-Fraktion (Pfalz, Brandenburg, Sachsen) entscheiden konnte. Hinzu kam: Böhmen war fruchtbar, reich, zentral gelegen. Es besaß die Standortvorteile, von denen Wirtschaftsförderer bis heute träumen. Der englische Abenteurer John Taylor bereiste zu Beginn des 17. Jahrhunderts ganz Europa und schwärmte in seinem Bericht von Böhmen: Das Land habe »alles, was der Mensch braucht. Die Natur hat es zu ihrer
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