Der Dreissigjaehrige Krieg
empfindlich schadete, und trat die Religionsfreiheit mit Füßen. Binnen fünf Jahren restaurierte er allein für den Erzbischof von Prag die Hoheit über 132 umliegende Dörfer. An der Feindseligkeit des Habsburgers gegenüber der böhmischen Autonomie konnte es ebenso wenig Zweifel geben wie am religiösen Fanatismus Ferdinands, der als Nachfolger designiert war. Der Zeitpunkt zur Gegenwehr war gekommen.
Genau daran aber fehlte es. Drei Prinzipien bildeten die Grundlage des erfolgreichen böhmischen Zusammenlebens – regionale Selbstbestimmung, religiöse Toleranz und das demokratische Mitspracherecht von 1400 adligen Landbesitzern sowie 42 Städten. Ferdinand repräsentierte das genaue Gegenteil: Österreicher, unduldsamer Katholik, Zentralist. Die Tragik Böhmens war, so die englische Historikerin Veronica Wedgwood, dass die drei Prinzipien die Opposition »in drei verschiedene Richtungen trieben« und dadurch schwächte. Erhob man die Religionsfreiheit zur Priorität, war das Bündnis mit einem mächtigen protestantischen Reichsfürsten unumgänglich. Friedrich V., pfälzischer Kurfürst und mittels der Oberpfalz direkter Nachbar Böhmens, rückte in den Blick – dessen Kanzler Christian von Anhalt warb seit Jahren für diese Lösung, ohne bei den Böhmen auf Begeisterung zu stoßen. Der Nachbar im Norden, Kurfürst Johann Georg von Sachsen, wehrte alle Avancen ab.
Sollte die Autonomie gesichert werden? Dann hätte man eine böhmische Lösung finden müssen, für die sich niemand anbot. Oder war die ständische Verfasstheit das Wichtigste? Dann musste man dem neuen König eine Verfassungsreform aufzwingen. In allen drei Fällen war mit dem entschiedenen und gewalttätigen Widerstand Ferdinands zu rechnen, für den es stets um mehr ging als nur um ein reiches Territorium: Ohne die Stimme Böhmens konnten sich die Habsburger der römisch-deutschen Kaiserkrone nicht mehr sicher sein.
Konflikt also, vielleicht gar Krieg. Dem aber wichen die Böhmen einstweilen aus. Das mag man für sympathisch halten – oder wie Wedgwood gegen den »Ballast ängstlichen Beharrens« wettern. Den Chefdiplomaten der böhmischen Lutheraner, Joachim Andreas von Schlick, charakterisiert sie so: »Graf Schlick war ein ehrenhafter, friedliebender Gentleman, aber keine Führungsfigur.« Der talentierteste Militärführer auf Rebellenseite, Heinrich Matthias von Thurn, habe als professioneller Soldat zwar Entscheidungsstärke und Skrupellosigkeit, »aber weder Takt noch Geduld noch Urteilsvermögen« besessen.
Einstweilen folgten die böhmischen Stände noch der Appeasement-Taktik des Grafen Schlick und der Tradition. Im Juni 1617 wählten sie – einstimmig! – Ferdinand zum neuen König; eine verheerende Fehlentscheidung, die dem ein knappes Jahr später losbrechenden Aufstand kostbare Legitimität raubte. Erst nach der Wahl verlangte der Adel vom König eine Garantie der Religionsfreiheit. Die unterzeichnete der neue Boss, ohne auch nur im Traum daran zu denken, sie einzuhalten. Plötzlich ging alles rasend schnell. Unter zehn Prager Statthaltern bildeten die sieben Katholiken eine erdrückende Mehrheit. Immer mehr Protestanten wurden aus Staatsämtern entlassen, auch Schlick und Thurn vom neuen König marginalisiert. Knallhart gingen die Habsburger an ihre Katholisierungspolitik. In Klostergrab und Braunau wurden neugebaute evangelische Kirchen dem Erdboden gleichgemacht; den Protest der Stände wies man in Wien brüsk ab. »Geschickt war dieser Konfrontationskurs nur, wenn man unterstellt, Ferdinand II . habe die Ereignisse vom 23. Mai 1618 bewusst provozieren wollen«, schreibt Georg Schmidt. Dafür spricht tatsächlich vieles, nicht zuletzt der Instinkt eines seiner Sache gewissen Politikers: Ferdinand hatte die Uneinigkeit der Böhmen aus erster Hand erlebt. Dieser Gegner war zu schlagen.
Was an jenem kühlen Maitag auf dem Hradschin geschah, passte in Ferdinands Kalkül: Es erlaubte seiner jesuitischen Propagandaabteilung, die Rebellen als Vergewaltiger der gottgewollten Ordnung zu brandmarken. Aber auch die Böhmen verbanden den Aufstand von Anfang an mit einer Imagekampagne. Die Vertreter des Wiener Tyrannen, die Grafen Jaroslav Martinitz und Wilhelm Slavata, hätte man ja auch durch Schüsse oder Stiche ins Jenseits befördern können. Stattdessen wollte man ihnen »auf böhmische Art« (po staro č esku) beikommen, bewusst anknüpfend an die Begründer der hussitischen Religion zwei Jahrhunderte zuvor. Bei deren
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