Der Dreissigjaehrige Krieg
Getreidekammer erkoren«.
Prag bildete den Knotenpunkt wichtiger Handelswege: von der Tuchindustrie um die schlesische Hauptstadt Breslau im Nordosten zur immer noch mächtigen freien Reichsstadt Nürnberg im Südwesten, von der kaiserlichen Kapitale Wien im Südosten zum bedeutenden Handelszentrum Leipzig im Nordwesten. Auf der linken Moldauseite lebten Hoflieferanten italienischer, holländischer und deutscher Herkunft. Sie brachten mehr als nur Geld in die Stadt, in der die deutsche und tschechische Sprache und Kultur weitgehend friedlich koexistierten: den Hauch von großer weiter Welt, die jüngsten Ideen religiöser Freidenker und Philosophen, die neuartigen Bilanzierungsregeln aus den Niederlanden.
In der Königsburg Hradschin wohnte seit 1583 der deutsche Kaiser Rudolf II ., ein Katholik. Er scharte Gelehrte und Künstler um sich; deren Konfession spielte keine Rolle. Der Astronom Tycho Brahe wurde sein Hofmathematiker, Johannes Kepler dessen Nachfolger. So groß war die Kunstbegeisterung des Habsburgers, der auch König von Böhmen war, dass Kunsthistoriker von der »Rudolfinischen Malerei« sprechen. Der verschwenderische Hofstaat und die Berühmtheiten aus ganz Europa brachten Geld in die Kassen des Prager Bürgertums und schmeichelten der Eitelkeit des eingesessenen Adels. Da ließ sich die vorsichtig vorangetriebene Katholisierung einflussreicher Positionen des Landes leichter ertragen, zumal da Rudolf die besonders eifrigen Jesuiten in Zaum hielt. Lebten in Prag nicht Katholiken, Utraquisten und Lutheraner friedlich nebeneinander?
In Wirklichkeit war der Augsburger Religionsfriede von 1555 zur Jahrhundertwende nur noch verblasste Erinnerung. Die katholische Kirche hatte durch das Konzil von Trient an dogmatischer Sicherheit zurückgewonnen, Calvinisten und Lutheraner zementierten ihren Glaubensgegensatz mit schriftlichen Dogmen. Allerorten begannen die Landesfürsten, den in Augsburg beschlossenen Grundsatz des »cuius regio, eius religio« rigoros durchzusetzen. Das Zeitalter der Toleranz ging zu Ende.
Katholische Herrscher taten sich als Eiferer besonders hervor. »Besser eine Wüste regieren als ein Land voller Ketzer«, soll der junge Ferdinand, Herzog der Steiermark, gesagt haben, und nach diesem Motto handelte der spätere Kaiser. Auch im Südwesten erwuchs den freisinnigen Böhmen ein mächtiger Gegner. Bayern-Herzog Maximilian I., wie Ferdinand in Ingolstadt von Jesuiten erzogen, zentralisierte systematisch seine Verwaltung und regierte jahrzehntelang ohne Landstände. Wenn diese Art von Fürstenabsolutismus in Bayern funktionierte, warum nicht auch im Nachbarland Böhmen?
Als Reaktion auf die nach Konfessionsunruhen erzwungene Katholisierung der Stadt Donauwörth gründeten die Abgesandten protestantischer Fürsten und Städte im Mai 1608 unter Leitung der calvinistischen Kurpfalz die Union. Dem auf zehn Jahre angelegten Defensivbündnis traten bald wichtige Fürsten (Brandenburg, Baden-Durlach) und mächtige Städte (Nürnberg, Straßburg, Ulm) bei. Die Katholiken unter Führung des Bayernherzogs bildeten im Jahr darauf die Liga, auch sie im öffentlichen Sprachgebrauch lediglich zur Verteidigung gedacht. Aber bereits 1609 mobilisierten beide Lager ihre Truppen: Der Jülich-Klevische Erbfolgestreit drohte monatelang in einen Krieg zu münden, zu dem es dann doch nicht kam. Wachsendes Misstrauen zwischen den Konfessionen, das sämtliche Vermittlungsinstitutionen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nach und nach lähmte; ein Beinahe-Krieg am Rhein; Waffenstillstand zwischen Spanien und den Niederlanden, nach dessen Ablauf 1621 die Spanier ganz offen zur Entscheidungsschlacht rüsteten: Da ballte sich etwas zusammen über Europa, das nach Entladung drängte.
In Prag ging es mit der Herrlichkeit Kaiser Rudolfs zu Ende. Zugunsten seines Bruders Matthias musste er 1608 auf Österreich, Ungarn und Mähren verzichten; die aufmüpfigen Stände Böhmens und Schlesiens erzwangen im Jahr darauf die Ausstellung sogenannter Majestätsbriefe. Damit sicherte ihnen der Bewohner des Hradschin Religionsfreiheit zu, auch den Bau neuer evangelischer Kirchen. Zwei Jahre später wirkten die Stände bei Rudolfs Ablösung durch Matthias als böhmischer König mit. Seit 1526 war das Land de facto habsburgische Erbmonarchie. Sollten die Böhmen auf Dankbarkeit ihres neuen Königs gehofft haben, sahen sie sich enttäuscht. Matthias verlegte seine Residenz nach Wien, was Prags Wirtschaftsleben
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