Der dreizehnte Apostel
glaube, es macht einen Unterschied, einen kleinen Unterschied für manche Übersetzungen, und …«
Es entging ihr nicht, daß O’Hanrahan gähnte, und sie verstummte. Zugleich spürte sie wieder jene Nervosität, die sie immer befiel, wenn sie die Doktorarbeit erwähnte, die im September verlängert werden musste . »Es ist interessanter, als es vielleicht klingt«, setzte sie zögernd hinzu.
(Eigentlich nicht.)
Als sie die George Street überquerten und an der St. Mary Magdalene’s Church vorbeikamen, deutete O’Hanrahan auf das Balliol College: »1200 gegründet
– als Buße für einen schmutzigen Witz, der in Gegenwart eines Bischofs erzählt worden war, oder dafür, daß man ihn gekidnappt hatte, je nach Leseart. Links von diesen mittelalterlichen Basteien sehen Sie das St. John’s College, das College, das den Beaumont Palace Richards II. Geburtsort des Kreuzfahrers Richard Löwenherz und des knickrigen König Johann, niedergerissen hat, um ihn als Fundament für seine Bibliothek voller Schriften von A. E. Housman …«
»Der Altphilologe? Housman ist einer meiner Helden«, unterbrach ihn Lucy.
»Gott steh’ Ihnen bei«, brummte O’Hanrahan. »St. John’s war die Heimstatt von Edward Campion, Mitbegründer meines geliebten Trinity College in Dublin, der – und das sage ich als einer, der die Jesuiten kennt – jesuitischer als ein Jesuit war. Fast hätte er Elizabeths Hand ergattert. Die Kirche von England hat ihn daran gehindert und ihm, im protestantischen Geist brüderlicher Liebe, die Eingeweide herausgerissen, ihn gevierteilt und geköpft.«
Während O’Hanrahan Lucy mit Märtyrergeschich ten und der Beschreibung grässlicher Todesarten unterhielt, begriff sie, daß freundlicher, gewinnender Small talk bei Patrick O’Hanrahan weitschweifige, gelehrte Vorträge bedeutete.
» … genauso wie sie es mit Alexander Briant gemacht haben – Streckfolter, Daumenschrauben, Eiserne Jungfrau, Nadeln unter den Fingernägeln. Und mit Kardinal John Fisher. ›Sogar wenn ihr ihm einen roten Hut schickt‹, hat Heinrich VIII. gespottet, ›wird er keinen Kopf mehr haben, um ihn aufzusetzend‹«
O’Hanrahan selbst hat etwas Tudorianisches an sich, dachte Lucy bei sich.
»Heinrich der VIII. war entschlossen, alle papistische Kunst zu verbrennen, und meine Lieblingsge schichte erzählt, daß er die Holzstatue von St. Gdarn aus seinem walisischen Dorf holte. Die Dorfbewohner warnten ihn, es gebe die Prophezeiung, die Statue werde einen ganzen Wald in Brand stecken; daraufhin ließ der König John Forest, einen unbußfertigen Katholiken, zusammen mit der Heiligenstatue auf dem Scheiterhaufen verbrennen – womit die Prophezeiung erfüllt war.«
»Es ist schrecklich, an all diese Märtyrertode hier
zu denken«, erklärte Lucy ernst.
»Ach, was ist schon ein Scheiterhaufen hier und da, hm? Bringt diese raubgierigen Kirchenleute ein wenig auf Zack. Mir fallen ein halbes Dutzend Prälaten von heute ein, die förmlich danach schreien, auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden. Kardinal O’Connor in New York, Marzinkus in C hicago, Ma honey in Los Angeles, die ganzen derzeitigen Handlanger von Johannes Paul. Und die ganzen Fernseh prediger , wenn wir schon dabei sind: Swaggart, Tilton, Bullins, Falwell – in die Flammen mit ihnen!«
Lucy stand gegenüber von St. Mary Magdalene’s und sah daneben eine Art Wucherung, genannt Mar tyrs ’ Memorial: ein freistehender, dreistöckiger, überladener gotischer Turm, der neben einer Reihe mut willig zerstörter Telefonzellen stand. Eine Gruppe ausländischer Studenten saß auf den Stufen neben dem Spitzturm; sie rauchten und posierten für Fotos. Lucy betrachtete den Turm. »Noch mehr Katholiken, die man ausgeweidet und gevierteilt hat?«
»Protestanten diesmal. Bloody Mary am Werk.« Es war im Jahr 1555.
»Die Bischöfe Latimer, Ridley und Cranmer«, erzählte O’Hanrahan, »wurden alle von ihrem College rasch aufgetischt, als die Inquisition zu Besuch kam. Maria schickte spanische Mönche hierher, die sich um die Inquisition kümmern sollten – wenn eine Inquisition richtig funktionieren soll, muss man die Spanier dabeihaben. Latimer brannte schnell, weil man ihm erlaubte, einen Vorrat an Schießpulver um den Hals zu tragen. Ein explosiver Reformer.«
»Oh, Dr. O’Hanrahan«, schauderte Lucy.
»Ridley«, bemerkte O’Hanrahan, scheinbar mit Wonne, »erlitt einen der schlimmsten Tode auf dem Scheiterhaufen, von dem ich je gehört habe. Stunden
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