Der dreizehnte Apostel
Sir. Und für die Miss?«
»Ich glaube, nur Grapefruitsaft, das genügt.«
»Unsinn«, fauchte O’Hanrahan und nahm Lucy die Speisekarte aus der Hand. »Ich bestehe darauf. Ein richtiges englisches Frühstück für meine Tochter.«
Der Kellner zog sich taktisch klug zurück, und Lucy sah O’Hanrahan schüchtern an. »Sie erinnern sich also doch an mich. In der Turf Tavern, haben Sie mich als Ihre Tochter ausgegeben.«
»Ein kleines bisschen Ähnlichkeit ist da, zu Ihrem Pech«, erklärte er und lachte, bis ihm der Kopf weh tat. »Sie sind römisch-katholisch, stimmt’s?« Lucy nickte.
»Und noch schlimmer als das, irisch-römischkatholisch, wie?« Sie nickte erneut.
»Ich wusste es«, seufzte er, »dieses tiefrote Haar. Und wie Sie rot geworden sind, als ich gestern Abend darauf anspielte, Sie könnten meine Geliebte sein. Dantan, Dantan … das ist aber kein irischer Name, oder? Oh, sehen Sie!« Ein Kellner kam mit einem Ge bäckwagen vorbei, beladen mit Croissants und Kuchen, mit Muffins und Scones, Crumpets, Blätterteiggebäck und einer Reine voller Strudel.
»Entschuldigen Sie«, hielt O’Hanrahan den Mann auf. »Ich hätte gern einen Strudel, ja, das Ding da. Lucy?«
»Etwas von dem Blätterteig, glaube ich«, sagte Lucy; ihre Bank war nun garantiert gesprengt. »Sie haben keinen Platz mehr für alles, was Sie bestellt haben, wenn Sie sich jetzt durch den Gebäckwagen essen.«
»Ich habe gar nicht vor, alles zu essen, was ich bestellt habe. Ich will nur, daß diese Scheißkerle in Chicago dafür zahlen müssen. Was wollten Sie sagen?«
»Dantan«, begann sie, »ist ein bretonischer Name. Irgendwann Ende des 18. Jahrhunderts sind meine Ururur-Irgendwas übergesetzt nach Irland.«
»Garantiert, um dem französischen Antiklerikalismus nach 1790 zu entkommen.«
Lucy war es peinlich, daß sie so wenig über ihre Familiengeschichte wusste , ganz zu schweigen von der Weltgeschichte, die deren Auslöser gewesen war. »Ja, ich vermute«, fuhr sie fort. »Sie kamen gerade rechtzeitig zu den Hungersnöten nach Irland. Nach dem Ersten Weltkrieg ist mein Großvater dann in die Vereinigten Staaten gegangen.«
»Wahrscheinlich statt des Ersten Weltkriegs, wenn er ein echter Ire war. Ein Haufen Priester in der Familie, möchte ich wetten.« Lucy stocherte mit Messer und Gabel in dem Blätterteigstückchen herum. »Ziemlich.«
»Die Bretonen sind die prüdesten Katholiken Europas. Irland war ein Land, in dem sich die Leute gern amüsierten und gern kopulierten, bevor sie eine Welle bretonischer Priester importierten, die ihnen halfen, die Hungersnot zu überleben, und sie von dieser ganzen Fortpflanzung abhielten. Als die Bretonen 1850 fertig waren, lag das durchschnittliche Heiratsalter der Frauen bei achtunddreißig Jahren, der Männer bei fünfzig Jahren. Und sie waren tatsächlich jungfräulich. Sehen Sie sich unsere Insel jetzt nur an! Dank unserer Verwandtschaft puritanischer als die Puritaner.«
Lucy fiel auf, daß O’Hanrahan von unserer Insel sprach. So wie ihr Vater. Irgendwo verlief eine Trennlinie zwischen der irisch-amerikanischen Generation ihres Vaters und ihrer eigenen. Sie war kein einziges Mal versucht gewesen, etwas anderes außer den USA als Heimatland zu beanspruchen, und die Unruhen in Ulster hatten für sie keinerlei Romantik. Ihr Vater hatte längst festgestellt, daß es seinen Kindern an Anteilnahme für die Republik mangelte, und er warf ihnen ihre Gleichgültigkeit vor. Als Lucy neun wurde, hatte ihr Vater als Geburtstagsgeschenk einen Scheck unter ihrem Namen an die NORAID überwiesen, damit sie sich an ihren neunten Geburtstag und die neun früheren Grafschaften von Ulster erinnerte. Vielen Dank, Dad.
Lucy kam zur Sache. »Ich glaube, ich habe eine Vorstellung, wohinter Sie her sind, Sir.«
Er zog eine Braue hoch, nur wenig interessiert. »Ach, wirklich?« Lucy schnitt ihr Blätterteiggebäck in kleine Stücke und versuchte, den Eindruck von Lässigkeit zu vermitteln. »Ja. Ich glaube, Sie sind auf der Spur eines früher verlorengegangenen Evangeliums. Irgend etwas, das sehr alt ist, vielleicht 2. Jahrhundert, sonst wären Sie nicht so aufgeregt. Und es wird einem der zwölf Apostel zugeschrieben.«
»Warum meinen Sie, daß einer der zwölf Apostel der Autor dieses angeblich verlorenen Werks sei?«
»Ich habe gehört, wie Sie das zu Pater Beaufoix sagten, bevor ich mich bemerkbar machen konnte.«
Er schnitt eine Grimasse. »Habe ich das wirklich gesagt?«
»Natürlich kann
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