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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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ich habe mir immer gesagt, okay Mädchen, dieses Jahr wird alles anders. Aber nichts wurde anders. Gemessen an dem, was ich im normalen Leben erlebe, könnte ich ebenso gut Nonne sein, grämte sich Lucy. Wenn ich Schwester Marie-Berthe vom Akoluthen-Dinner kennengelernt hätte, als ich noch jünger war, und ihrem Orden von denkenden Frauen beigetreten wäre, nun, das hätte die Sache einfacher gemacht.
    »Ich glaube nicht, daß an der Gabriel-Front etwas in Bewegung geraten wird«, hatte Judy vorausgesagt, als sie von Gabriels Wunsch hörte, ein Bettelmönch zu werden. »Warum hörst du nicht auf, dich in diesem gottverdammten Fachbereich umzusehen? In diesem Haufen gibt es doch keinen Mann, der nicht gewaltig verkorkst wäre!« Lucy stieß bei diesen weichlichen Kirchentypen jedenfalls auf spontane Sympathie. All die zu sehr bemutterten katholischen Jungen, die sie aus der Jugendgruppe von St. Bridget kannte, die Möchtegernschauspieler von der Laien truppe in St. Eulalia, die Hälfte der Kandidaten für das Priesterseminar, unterwegs nach Loyola oder Nôtre-Dame, die jungen Männer mit hochkirchlichen Neigungen im Fachbereich – zwischen Lucy und diesen Typen entstand immer sofort eine Verbindung. Sie waren vielleicht nicht gerade homosexuell, aber doch vielleicht etwas Ähnliches, eine Orientierung mit dem übelriechenden Makel der Kirche. Lucy mangelte es nie an einer Einladung zum Kaffee, sie hatte nie Probleme, neben wem sie bei einer Vorlesung sitzen sollte. Lucy hatte sich eine Persönlichkeit aufgebaut: die coole, praktizierende katholische Frau, Stil der 90er. Rebellisch, antipäpstlich, reformwillig, aber regelmäßig die Messe besuchend und die Sache ernst nehmend. Jeder konnte die Show des vom Glauben abgefallenen Katholiken abziehen, aber es war weit schwieriger, in der Kirche zu bleiben. Genau das schien das Vertrauen zu untermauern, das junge Männer wie Gabriel und ihre Freunde am Theologischen Fachbereich zu ihr hatten.
    »Ich kann mit den Jungs über die Arbeit reden«, erklärte sie Judy einmal. »Ich habe so viele männliche Freunde, weil ich keine weibliche Sicht der Religion habe.«
    »Und was ist diese weibliche Sicht, bitte schön?«
    »Etwas Unpräzises, Spirituelles, Umklammerndes und Mysteriöses. Versteh doch, Judy, ich kann mit den Besten von ihnen über Theologen und über Doktrinen reden, über das Wesentliche eben. Es ist so, als würde man mit Wirtschaftsstudenten über Aktienindices diskutieren oder mit Sportfans über Baseballre geln . Ich spiele auf dem Augustinus-Feld.«
    »Und du hängst mit einem Haufen schwuler, gehemmter Männer herum, die auf jeden Fall nicht mit dir schlafen«, erwiderte Judy, die es nicht zulassen konnte, daß Lucy auch nur einen, einen einzigen kleinen Sieg errang, was ihr gesellschaftliches Leben betraf.
    Bei dieser unangenehmen Erinnerung angekommen, beschloss Lucy, nun dem englischen Morgen
    entgegenzutreten, egal, ob ihr schlecht war oder nicht. Es war fast elf. Zuerst schlenderte sie durch die Oxforder Markthallen, wo dem Kunden keine Unappetitlichkeit des Metzgerhandwerks erspart blieb. Kopfloses Wildgeflügel hing an Haken, mit den Köpfen nach unten hängende Kälber wurden enthäutet, die Eingeweide von Schweinen wurden ganz offen zerhackt und dargeboten. Lucy betrachtete mitfühlend einen einsamen Schweinekopf.
    Da ihr wieder schwindlig wurde, beschloss sie, in einem Arbeitercafe innerhalb des Marktes einen festen Halt zu suchen, setzte sich an einen Tisch und bestellte einen starken Tee. Während sie auf ihre Tasse starrte, holte der langweilige Ablauf ihres Lebens in Chicago sie wieder ein und verriegelte die Tore zu neuen Erfahrungen. Na schön, entschied Lucy, vielleicht hat Judy ganz recht. Das ist mein altes Revier: sensible, gehemmte, intelligente Männer mit einer Anlage zu religiösen Gefühlen.
    (Und nur Katholiken kommen als Bewerber in Frage?)
    Nicht daß Lucy antiprotestantisch gewesen wäre, aber sie erinnerte sich an Christophers Freund Luke, der lutherisch erzogen worden war und ziemlich anziehend auf sie gewirkt hatte, denn er war ein unbeugsamer Charakter und zugleich kontaktfreudig – etwas Seltenes in den Kreisen des Theologischen Fachbereichs –, und es schadete auch nicht, daß er Fußball spielte und blond und sexy war. Lucy hatte ihn einmal unter dem Vorwand, ein Buch in ihrem Zimmer abzuladen, hauptsächlich aber, damit Judy einen Blick auf ihn werfen konnte, mit nach Hause gebracht. »Na endlich, jetzt bist du auf

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