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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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vergib mir, wenn ich mich immer noch nicht gebessert habe. Ich will immer noch nicht schwanger sein. Jetzt, wo ich dem Tode so nahe war, will ich mehr denn je meine Freiheit.
    Dann fiel ihr plötzlich, ganz unvermittelt, David McCall ein. Irgendwo in diesem Land, draußen im weiten Busch. Er könnte der Schlüssel zu meinem künftigen Glück sein, entschied sie ruhig. Ich will ihm meine Sünden beichten, sie in seine schönen
    Hände legen. Sie sah den Mann in dem afrikanischen Hemd und dem runden Käppchen auf dem Kopf an. Der grinste ihr strahlend zu: »Meine Tochter soll verheiratet werden, ja?
    Lassen Sie mich Ihnen sagen, Gott hat mir versprochen, daß ich bei dem Fest tanzen werde, und Gott lügt nie. Nein, nein, Gott lügt nie.«
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    Lucy öffnete die Augen, als sie das Geräusch von Hubschraubern hörte. Einen Augenblick fragte sie sich, wo sie war, dann fiel ihr wieder die Notlandung ein, dann die kurze Fahrt in das Flüchtlingslager von Degoma, wo man ihnen ein Quartier angeboten hatte; sie zweifelte einen Moment, ob das wirklich alles passiert war …
    Sie setzte sich im Bett auf und stellte fest: Es stimmte. Sie war in der Unterkunft der Krankenschwestern, und ein schmaler Lichtstrahl drang unter dem Eingang des schweren Segeltuchzeltes durch. Lucy erhob sich von dem knarzenden Bett, vorsichtig, damit sie die Krankenschwester, die zwei Betten weiter schlief, nicht störte, und ging zum Eingang. Draußen war es noch hell; es war spät am Nachmittag. Jeeps und Lastwägen mit Medikamentenvorräten fuhren im Lager ein und aus und wirbelten Staub auf. Lucy betrachtete das Lager. Die Unterkünfte der Helfer und das Sanitätszelt lagen auf der einen Straßenseite; auf der anderen, in einem Areal voller Buschwerk, begannen die Zeltdörfer der Flüchtlinge.
    Lucy beobachtete eine Reihe von mitleiderregend abgemagerten Äthiopiern, die gerade angekommen waren und vor einer Hilfsstation warteten; die schreienden Kinder, die stummen Mütter, die immer noch zu verängstigt waren, um auf Nahrung zu hoffen, obwohl sie nun so nahe waren; die Männer, von denen man erwartete, daß sie für ihre Familien sorgten, bewegten sich in einer Art Trance äußerster Demütigung und Hoffnungslosigkeit vorwärts. Lucy blickte auf diese merkwürdig geduldigen, in ihr Schicksal ergebenen Menschen und tröstete sich mit dem Gedanken, daß die Leute nun endlich etwas zu essen bekommen würden, daß sie gerettet waren. Sie wärmte sich an diesem Gedanken, bis ihr Blick auf eine ausgemergelte Frau fiel, die hinter den anderen herhinkte, ohne Finger und – wie Lucy erschrocken bemerkte – ohne Nase. Lucy wandte sich ab: Lepra. Eine Krankheit, die man jetzt zwar behandeln konnte, aber vielleicht hatte man das in dem Dorf der Frau – wo immer es lag und wer immer es zerstört hatte – noch nicht gewusst . Ihre Kinder, die ihr Schritttempo nur änderten, um eine Fliege zu verscheuchen, folgten ihr mit ausdruckslosen Gesichtern. Bestimmt waren sie von der Krankheit ebenfalls angesteckt, aber es würde noch dauern, bis sie ausbrach. Was mussten sie denken, wenn sie ihre Mutter ansahen; hatten ihre kleinen Gehirne sich damit abgefunden; hatten sie irgendeinen Weg gefunden, um ihre Heimatlosigkeit, diesen ewigen Krieg, die Gräueltaten , den Verlust von Geschwistern zu verkraften?
    »Lepra«, sagte eine Krankenschwester, die in der Nähe des Eingangs stand, zu Lucy.
    »Ja, das habe ich mir gedacht.«
    Lucy und die Krankenschwester, die etwa in Lucys Alter war und mit ihrem kurzen Haar ein wenig maskulin wirkte, stellten sich einander vor. Lucy erfuhr, daß die Schwester einen Sommer lang für World Vision gearbeitet hatte und jetzt mit den Catholic Relief Charities hier war. »Obwohl ich jetzt nicht mehr katholisch bin«, fügte die Schwester hinzu. Lucy teilte ihre Beobachtungen mit. »Sie sehen alle so … gleichgültig aus.«
    »Das ist der Hunger«, erklärte die Schwester. »Eine Phase der Lethargie beim Verhungern. Sie verbringen den ganzen Tag in di esen Lagern und starren ins Lee re, sind kaum fähig, sich zu bewegen, selbst wenn etwas Essbares nur ein paar Meter weit weg von ihnen steht. Wir können nicht davon ausgehen, daß sie kommen und es sich holen, selbst wenn es direkt neben ihnen steht. Wir hatten Mütter, die in Sichtweite von Essen verhungert sind. Sie können nicht mehr klar denken.« Die Krankenschwester betrat das Zelt, da ihre Schicht zu Ende war. Lucy staunte darüber, wie ruhig sie die Menschen taxierte: »Aber

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