Der dreizehnte Apostel
O’Hanrahan riskierte einen weiteren Schluck von dem Brotgebräu. »Gütiger Gott im Himmel …«
»Trinken Sie das Zeug doch einfach nicht, wenn es so grässlich schmeckt«, fauchte sie ärgerlich. Sie musterte die Telefone. »Wie gut funktionieren die Apparate hier?«
»Die schwarzen Telefone sind absolut Dritte-Welt-Standard. Der Trick ist, sich am Funkgerät anzustellen und über Satellit anzurufen. Wollen Sie wieder diese afrikanischen Kontaktservicenummern anrufen?« Angesichts von Lucys Ungeduld fügte er hilfsbereit hinzu: »Sehen Sie den Mann da drüben? Den Arzt mit dem schmutzigen weißen Kittel, der schwarze Typ mit den hundert Kugelschreibern in der Tasche? Das ist der Chef hier. Fragen Sie ihn, ob Sie ein Gespräch anmelden können. Und tun Sie, als ginge es um Leben oder Tod, dann lässt man Sie an das Funktelefon.«
Lucy nickte dankbar. Sie nahm den Zettel mit der Adresse des Austcare-Lagers, den David McCall ihr gegeben hatte, aus der Handtasche und zeigte ihn dem Verwaltungschef. Dieser Mann kannte sich ein wenig mit dem Auf und Ab der Flüchtlingslager und Hilfsstellen während der derzeitigen Phase der Rebellion aus. Es stellte sich heraus, daß Davids Lager bei Debra Zebit aufgrund des Bürgerkriegs den Standort gewechselt hatte. Außerdem erzählte der Mann, Präsident Mengistu habe ausländischen Lebensmittel konvois die Durchfahrt verboten. Der Schurke wollte verhindern, daß seine Feinde Nahrung bekamen. Daher hatte er die internationalen Hilfslieferungen konfisziert und sie an andere arme Länder verkauft, um mit dem Geld neue russische und kubanische Waffen kaufen zu können. Austcare war nun weiter westlich bei Debra Tabor und arbeitete mit dem Roten Kreuz und CARE in einem bereits existierenden Lager zusammen.
Als sie diese Information erhalten und die Funk frequenz von Debra Tabor erhalten hatte, bat sie den Telefonisten um einen Anruf an David McCall. Sie bekam erst einen Arzt an den Apparat, der gebrochen Englisch sprach; dann eine amerikanische Krankenschwester, die wusste , daß Leute von der australischen Hilfsorganisation zu ihrem Lager gestoßen waren, aber nie von Dav id gehört hatte; dann zwei Leute , die in einer ihr völlig fremden Sprache redeten. Aber kurz darauf: »Hallo?«
»Äh, David?«
»Ja? Wer ist dran?« Die Stimme klang besorgt. Sicher würde niemand mit guten Nachrichten anrufen oder um nur Hi zu sagen. »Lucy Dantan. Erinnerst du dich, vor ein paar Monaten war ich bei euch?«
»Es muss dich ein Vermögen kosten, mich hier anzurufen!«
»Ich bin in Äthiopien. Ein Stückchen weiter an der Straße.«
»Neeeeeiiiin …«
»Doch, ungefähr fünf Meilen entfernt von …« Sie fragte rasch, wo sie hier waren. » … von Degoma, in der Nähe von Gondar.«
»Na, das ist gar nicht so weit von mir weg. Sechzig Meilen vielleicht.«
»Na ja, ich wollte dich gern anrufen. Ich habe gehofft, daß ich dich vielleicht besuchen könnte, wenn es in der Nähe ist; vielleicht kann ich mit irgend einem Helfer mitfahren.«
»Ich habe einen Jeep«, erklärte David fröhlich. Es schien ihm vollkommen unproblematisch, sie abzuholen.
»Ja, aber du musst doch arbeiten …«
»Ich hole einfach unseren Nachschub einen Tag früher aus Addis Zemen und schaue bei euch vor bei.«
»Aber der Krieg …«
»Oh, im Augenblick geht es prächtig. Letzte Woche sind sogar Busse nach Lalibela gefahren.«
»Ich würde mich freuen, dich zu sehen.«
»Ja, ich mich auch.« Er lachte unbefangen und rief jemandem im Raum etwas zu: »Hey, John, Georgie – ratet mal! Das Mädchen, von dem ich euch erzählt habe, ist in unserem beschissenen Äthiopien!« Dann sprach er wieder in den Hörer. »Bist du mit Paddy zusammen?«
»Unglaublich, aber wahr: ja.«
Sie wollte mit ihrer Abenteuerlust ein bisschen angeben. »Unser Flugzeug ist von der SPLA abgeschossen worden, und wir sind in der Nähe einer Stadt namens Aykel notgelandet. Jetzt sind wir im Lager von Degoma und warten, bis uns jemand von unserer Botschaft holt.«
David quiekte entzückt. »Herr Jesus, daneben war unsere kleine Evaku ierung ein Klacks! Na, willkom men in Äthiopien! Es kann nur noch schlimmer werden.«
»Nicht, wenn ich dich treffe.«
Die Sonne war am Untergehen, und es wurde kühl
– eine Hochlandkälte, die Lucy nach der Folterqual der Saharahitze erfrischend fand. Da sie das Gefühl hatte, eine Last für die Helfer zu sein, suchte sie nach der Krankenschwester, mit der sie gesprochen hatte, und meldete sich
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