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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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Größen; ich sah einen Mann, der mir nur eben bis zur Hüfte reichte, und viele, die viel größer waren als ich. Die Zwerge wurden Pygmäen geheißen, ich weiß nicht, ob das wirklich die Leute waren, von denen Homer spricht. 4 Jedenfalls erzählte man mir, daß sie von den reichen Karmaniern als Bootsleute auf dem Euphrat gebraucht werden. Die hochgewachsenen Äthiopier waren wegen ihrer Größe begehrt, wenn sie mir auch nicht sonderlich stark zu sein schienen. Ein griechischer Händler meinte, daß man sie beim Militär als Späher gebrauchen könne; während sich ein exzentrischer Perser einen dieser hochgewachsenen Männer als Bibliotheksdiener bestellt hatte, da er ja imstande sei, ohne Leiter die höchsten Regale zu erreichen. Die Männer (und Frauen selbstverständlich auch), große und kleine, ihrerseits hatten natürlich keine Ahnung, was ihre Käufer im einzelnen von ihnen erwarteten, und sahen ziemlich unglücklich drein.
    Dann kam ich nach Napata, in welcher Stadt Keuschheit und Züchtigkeit unbekannte Tugenden sind. Die stattlichen und pechschwarzen Frauen paradieren den üppigen Busen unverschleiert in aller Öffentlichkeit und sind übrigens nur mit einem schmalen Lendenschurz bekleidet! Nackt gehen auch die Männer, oder doch fast, denn allerdings tragen sie allerlei glänzend polierten goldenen Schmuck auf der schwarzen Haut. Erstaunlich ist übrigens, daß man sich mit der Zeit daran gewöhnt, daß diese Leute sich ihrer Schamteile anscheinend nicht schämen, und sogar irgendwie den Eindruck empfängt, als reize die-se Nacktheit weniger zur Sünde als die sittsame und züchtige Verhüllung. Doch weiß man ja, daß die nackten Menschen, die in noch größerer Ferne am Rande der bewohnten Welt wohnen, unschuldig und ehrenhaft sind, wenn auch natürlich irregeleitet hinsichtlich der Religion und des Werts der Keuschheit, die ich, lieber Bruder, stets als Vehikel zur Verfeinerung der Seele zu schätzen gewusst habe.
     
    8.
    Doch, um in meiner Geschichte fortzufahren: Nach einmonatiger Reise, die ich teils zu Fuß, teils auf gemieteten Maultieren und teils auf dem Flusse bei gutem Wind gegen den Strom segelnd zurücklegte, erreichte ich den Ort, wo der Assaboras und der Astapus, ihre Wasser miteinander vermählend, den Nil hervorbringen, den Nil, den größten der Flüsse!5 O hochmütiger Fluss , den der Gott Mose einst granatapfelrot verfärbte!6 Fließe ins Meer, wie du willst, o Nil, wir Evangelisten werden deinem Strom widerstehen, ja gegen ihn angehen und noch deine Quelle umarmen auf unserem Wege zu den Seelen, die nach der Frohen Botschaft dürsten!
    (Dieses Stückchen dichterischen Höhenflugs mag dich belehren, o Bruder, daß der Dichter, der in mir steckt, sich nie auf Dauer das Wort verbieten lässt !)
     
    9.
    Der Markt der Hauptstadt der Insel Meroë, die ebenfalls Meroë genannt wird (wie du vielleicht gelesen hast, soll der persische König Kambyses beiden den Namen seiner dort verstorbenen Schwester gegeben haben), zieht sich am westlichen Ufer des Astapus hin, viele Stadien weit. Da hinter diesem Markt landeinwärts nur Wüste zu liegen scheint, hat man bei der Ankunft den Eindruck, daß die ganze Stadt Meroë weiter nichts als ein Hafen und Handelsplatz am westlichen Quellfluss des Nils sei.7
    Ich machte mich mit einem der griechischen Sprache mächtigen Zollbeamten bekannt, der mir erklärte, daß Händlern das Betreten der etliche Stadien landeinwärts gelegenen und also vom Flussufer aus nicht sichtbaren Stadt Meroë nicht gestattet sei. Ich sagte zu ihm: »Ich bin nicht hier um des Kaufs und Verkaufs von Waren willen, lieber Herr, sondern um den guten Leuten von Meroë das Wort Gottes zu verkünden. Denn ich bin ein Nazaräer.« Dieser edle Nubier, eine Elle größer als ich selbst und sichtlich mit der Kraft begabt, den vorgeschriebenen Zoll von zahlungsunwilligen Kaufleuten notfalls auch mit Gewalt zu erheben, schenkte mir das Lächeln eines Knaben und bat mich, ihm zu folgen. Er führte mich in ein kleines, sauber gefegtes Haus, wo seine Frau – die wie alle Frauen in Meroë ungeheuer fett und kohlpechrabenschwarz war, denn, wie es hier Mode ist, hatte auch sie ihre schwarze Haut mit Holzkohlenstaub eingerieben, um ihrer Schwärze zusätzlichen Glanz zu verschaffen – mir eine schmackhafte Mahlzeit von Brot und Früchten zubereitete. Unterdessen wurde ein Bote in die Hauptstadt geschickt, der dort meine Ankunft melden sollte, als wäre ich ein königlicher Botschafter oder

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