Der dreizehnte Apostel
sonst eine wichtige Persönlichkeit.
(Könnte es sein, daß, da hier schließlich doch die Mehrzahl der Gebildeten der griechischen Sprache mächtig ist, der Ruhm meiner Hebraika und meiner Erklärung des Kosmos mir diese schmeichelhafte Aufmerksamkeit verschaffte? Ah, ich sehe Tesmegan lächeln, so wird das denn wohl der Grund sein. Seltsam, daß ich nicht eher darauf gekommen bin.)
10.
Bald wurde mir ein Wagen geschickt, ab ging die Fahrt, und bald langten wir vor dem prächtigsten Stadt tor an, das ich je gesehen ha tte! Die Stadt war von einer ho hen, steinernen Mauer umgeben und schien ungefähr zwanzig Stadien im Geviert zu messen. Keine Luke öffnete sich in jener abweisenden Stadtmauer, und wirklich hat ja, wie ich jetzt weiß, Meroë keine Fenster zur äußeren Welt. Eine große Treppe, gesäumt von steinernen Löwen und Affen und anderen aus Ägypten bekannten Götzenbildern, unter denen ich auch einen Sebastian aus der Zeit des ersten Kaisers bemerkte,8 führte zu einem Tor mit drei Bögen, die alle mit reichem Figurenschmuck geziert waren. Dort angelangt, entdeckte ich, daß ich die Stadt nur durch einen engen, gewundenen Gang betreten konnte, der an einigen Stellen so niedrig war, daß ich auf Händen und Knien kriechen musste . Dieses Stadttor war wie ein Mauseloch, kein fremdes Heer hätte dort einmarschieren können.
11.
Und dann die Stadt, in welche ich durch dieses Mauseloch gelangte! Meinen Schreiber wird es freuen, daß ich meinte, unversehens ins Paradies gelangt zu sein! Überall blühende Pflanzen, in jeder zweiten Straße dieser vollkommen regelmäßig geplanten Stadt ein Kanal stillen, reinen Wassers, dazu hin und wieder sprudelnd sich ergießende Brunnen. Alle Häuser von gleicher Höhe und prächtiger Ausstattung, mit Blumen und blühenden Winden geschmückt. Wie mir Tesmegan erzählt, hat man dieses Wasser auf Aquädukten und durch Röhren aus dem Assaboras im Westen in die Sta dt geleitet, wo es nun Kanäle, Brunnen und Bäder speist und durch ein unterirdisches Abwässersystem, ähnlich den römischen Kloaken, die Stadt reinigt.
Und wenn mich nicht alles täuscht, gibt es kein Weltwunder, das man hier nicht nachgeahmt oder sogar übertroffen hat. Der Hauptpalast von Meroë erinnert an die Akropolis von Athen, nur sieht er aus, als hätte ein Ägypter ihn erbaut, denn der große Säulenhof mutet ägyptisch an. Er steht auf einer dreifach abgestuften Anhöhe, von deren zahlreichen Terr assen und Balkonen blühende Ran ken hängen, also daß die ganze Anlage den berühmten Hängenden Gärten von Babylon gleicht. Nirgends eine Spur von Schmutz und Unrat, durch welche man in den Straßen anderer Städte waten muss . Überall der Duft von Blumen und wohlriechenden Essenzen. Schämen sollte sich Jerusalem! Doch wieder einmal habe ich es vergessen – das arme Jerusalem ist ja nicht mehr.
12.
Ich wusste , daß Meroë von Frauen regiert wird, und war deshalb auf das Schlimmste gefasst : einen verluderten Hof mit einem Staat von Kastraten und ausgehaltenen Männern. Denn solche Königinnen stellen sich gewöhnlich als Verkörperungen der Fruchtbarkeit dar und lassen sich von ihren Untertanen als Liebesgöttinnen anbeten, und ihre Hofschranzen tun ihnen nur zu gerne den Gefallen. Aber Meroë ist einzigartig.9 Tesmegan hat mir erklärt, daß man in Meroë Frauen regieren lässt , um der Gefahr der Tyrannei vorzubeugen. Auch gelangt in Meroë keine Frau auf den Thron, die nicht mehrere Kinder hat. Da man glaubt, bei Müttern mit einer Abneigung gegen den Krieg rechnen zu dürfen, die sie hindern mag, leichtfertig einen anzufangen, in dem sie ihr eigenes Fleisch und Blut zu verlieren riskieren müssten . Andererseits muss jede Königin über das gebärfähige Alter hinaus sein, denn man fürchtet, daß sie anders versucht sein könnte, sich Erben oder Mitregenten zu gebären. Tesmegan erklärte mir mit kindlicher Klarheit, daß man in Meroë die Männerherrschaft ein für allemal geächtet habe nach dem Jahrhundert der Katastrophen,10 in welchem die männlichen Herrscher des Landes durch lächerliche Staatsausgaben für zerstörerische äußere und innere Kriege den sagenhaften Reichtum von Meroë restlos verschwendet und das meröitische Volk durch ständiges Blutvergießen nahezu ausgerottet hatten. Die Kan dake , wie die Meröiter ihre Königin nennen, wird gewählt (das Verfahren scheinen sie von den Ptolemäern übernom men zu haben), und zwar für fünf Jahre. Es gibt keinen
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