Der dreizehnte Apostel
beide im siebzehnten Lebensjahr und entschlossen, die zwanzig Meilen weite Reise wie rechte Männer zu machen. Wir schleppten also Waffen mit, genug, ein kleines Heer auszurüsten, was, wie mir gut erinnerlich ist, meinen Vater nicht wenig amüsierte. Sorgen machte meinem Vater eher, daß wir in den von Lastern aller Art erfüllten Gassen Jerusalems unter die Räder kommen könnten, war Jerusalem doch längst eine Höhle aller Greuel, ein Hort aller Art von Hurerei geworden.31 Doch sind wohl nie zwei reinere junge Männer fromm in Jerusalem eingezogen als damals wir beide.
Ach, und das war das fünfte und letzte Mal, daß ich den Lehrer erblickte … Wenn ich nur noch einmal in Sein Gesicht blicken könnte, gewiss würden alle meine Zweifel verfliegen wie vom Wind weggeblasen. Es gibt so viele Fragen, die ich Ihm hätte stellen sollen, so viel, das nur Er allein mir sagen konnte!
24.
Jason heiratete ein nazaräisches Mädchen aus guter Familie – erinnerst du dich noch deines Essener-Freundes Tobias bar-Tobias, deines Mitschülers bei jenem tollen Banus, den du damals angebetet hast und dem du in die ju däische Wüste folgtest, als wir anderen bei der Ernte schufteten?32 Jason hat die Halbschwester dieses Tobias, Pontica heißt sie, geheiratet, und sie haben sechs Söhne zusammen, und da sie von diesen noch zwei am Halse hatten (nur die vier älteren waren schon aus dem Hause), waren sie entzückt zu hören, daß ich ihren Jüngsten, Xenon, als meinen Reisegefährten und Sekretär anstellen wollte.
(Zwar ist es betrüblich, daß Jason glaubte heiraten zu müssen, doch immerhin ist das ja wirklich noch besser als die Gehenna – das ist einer der wenigen Punkte, wo ich mit dem Großen Häretiker, wie ich zugeben muss , einer Meinung bin.33 Jason hatte das Zeug zu einem großen Evangelisten der Nazaräer, und wie ich ihn da auf seinem Landgut sah, von alltäglichen Sorgen geplagt und von den plärrenden Kindern zahlreicher, infolge der kriegerischen Ereignisse verwitweter Töchter, war ich glücklich, daß Gott mir die Kraft gegeben hatte, nicht vom Wege keuscher Ehelosigkeit abzuweichen!)
25.
Jason wies mich zu einem Feld im Norden seines Besitzes, wo ich den Jüngling fand, einen stämmigen, rothaarigen Burschen mit breitem Kinn, der da mit einigen Knechten eine steinerne Mauer baute. Ich bemerkte sofort, daß die Steine aufs Geratewohl und ohne Rücksicht auf die Form eines jeden übereinandergestapelt wurden, und so sagte ich, daß diese Mauer eines Tages gewiss einstürzen werde.
Mit der ganzen Unbekümmertheit eines Knaben in seinem sechzehnten Lebensjahr sagte darauf Xenon: »Wenn sie einstürzt, komme ich wieder her und baue sie wieder auf.«
Ich sagte zu ihm: »Aber sie wird wahrscheinlich nicht schon zu deinen Lebzeiten einstürzen. Die Söhne eines deiner Brüder werden sie wieder aufbauen müssen.«
» Umso besser also«, sagte er zu mir. Ich meinte zu erkennen, daß er mit dieser Aufgabe unterfordert war und seine rasche Intelligenz einer strengen Zucht bedürfe. Ich trug ihm meine Absicht vor, ihn als
meinen Schreiber in fremde Länder mitzunehmen auf der Suche nach den zerstreuten Resten der wahren nazaräischen Kirche des Neuen Bundes, die ich wiederzufinden hoffte. Ich fragte ihn: »Bist du ein Nazaräer?«
»Mein Vater ist einer«, erwiderte er mir.
Na schön, dachte ich. Besser vielleicht, wenn er nicht zu religiös ist, denn schließlich hat ein Übermaß an Religiosität unsere Bewegung in ihre gegenwärtigen Schwierigkeiten gebracht. Ich fragte ihn also weiter, ob er mutig sei.
»Nicht besonders«, sagte er, »aber ich nehme an, ich würde doch noch lieber in Äthiopien sterben als Steine aufschichten in dieser Wüste für meiner Brüder Kinder und meiner Brüder Herden.«
26.
So ward denn beschlossen, daß er mich begleiten und mir als Schreiber dienen sollte. Schon auf dem Rückweg zu meinem näher bei Jerusalem gelegenen Gut merkte ich, daß es mit seiner Schreibkunst nicht weit her war, und als ich bemerkte, daß er, anstatt wie diktiert p.vo. (mühevolle
Arbeit) zu schreiben, p.to. (Trinkgelage) zu Papier gebracht hatte, hatte ich nicht übel Lust, nach Bethzur zurückzukehren und dem guten Jason die fernere Beschäftigung seines hoffnungsvollen Sprösslings beim Mauerbau zu empfehlen, doch versprach der Knabe, seine Fähigkeiten würden mit der Übung zunehmen, und das ließ ich gelten. Hätte ich gewusst , was uns bevorstand! Wahrlich, es wäre für diesen
Weitere Kostenlose Bücher