Der dritte Kontinent (Artesian 3) (German Edition)
Diesmal auf die Stirn. Er hielt still, weil es ihm gefiel.
Oh ja, dachte er, als er allein war, ich bin ein heißer Feger! Frauen behandeln mich wie ein Geschwister und die eine, auf die es ankommt, nimmt Reißaus, wenn sie mich sieht.
Er trank seinen Tee aus, stellte die Tasse in den Behälter neben der Ausgabe und verließ die Kantine. Als er sich dem Ausgang näherte, leuchteten im Verbindungskorridor die ersten Lichter auf. Er trat über die Schwelle und in der Kantine hinter ihm erlosch das Licht. Er sah zurück in den dunklen Saal und schüttelte den Kopf. Dieser ganze automatische Kram ging ihm gehörig auf die Nerven. Es gab kaum irgendwo Platz für die kleinen Rituale, mit denen man auf Artesian einen Tag beendete, sei es das Geschirr für den nächsten Morgen abspülen, die Fensterläden überprüfen oder das Licht löschen, bevor man zu Bett ging. Alles ging vollautomatisch und war ADA-gesteuert. Er hatte das Gefühl, weniger fürsorglich mit all den fremden Dingen umzugehen, wenn er keinen Einfluss nehmen konnte und so empfand er den fehlenden Kontakt mit den Dingen dieser Welt als einen Verlust, eine Hinderung, Madigan und ihr Leben zu verstehen und zu begreifen und das ärgerte ihn. Er hatte das Gefühl, nicht hierher zu gehören.
Er schob die Hände in die Taschen und stapfte durch den Flur. Folge der roten Linie, hatte Tira gesagt, und du gelangst immer in die Krankenstation. Er suchte die rote Linie, fand sie und folgte ihr seufzend.
Die Krankenstation lag leer und verlassen da. Eine Krankenliege war in gelbes Licht getaucht.
Leise trat Hockster an Tippets Bett.
Sie schlief. Telure hatte es irgendwie geschafft, sie davon zu überzeugen, wenigstens bis zum nächsten Morgen auf der Krankenstation zu bleiben. Inzwischen stand fest, dass die Schädigungen ihres Gehörs dauerhaft waren. Tippet war taub.
Da sie nun die eigene Stimme nicht mehr hörte, sprach sie natürlich viel zu laut, wenn sie etwas sagte. Telure war zwar der Ansicht, dass sich das wieder legen würde, wenn man ihr mit einfachen Zeichen zu verstehen gab, welche Lautstärke angemessen war, aber bis dahin war es ein weiter und anstrengender Weg.
„Sie ist schön“, flüsterte Naggit. „Findet Ihr nicht auch?“
Hockster hatte ihn gar nicht bemerkt. Der Drache saß auf einem medizinischen Überwachungsgerät, das die gleiche Farbe hatte wie er selbst.
„Du brauchst nicht zu flüstern, Naggit. Sie ist taub!“
„Ich habe davon gehört, verstehe aber nicht, warum das ein Problem darstellt.“
„Sie wird nie wieder hören! Telure und ich haben sie gemeinsam untersucht. Alles, was ein Drache zum guten Hören benötigt, ist zerstört und es gibt keine Technik und keine Magie, die daran etwas ändert.“
„Was denn? Den Wind in den Wäldern? Das Schnattern einer Gans? Das nervende Summen beschäftigter Menschen inmitten der großen Städte wie Hornburg oder Idenhal? Wenn Ihr mich fragt, verpasst sie nichts! Nur mit der Jagd wird sie Schwierigkeiten haben, da sie aber sowieso viel lieber Fische fängt ... die machen nicht viele Geräusche, diese Fische, und gucken kann sie ja schließlich noch.“
Hockster wischte sich müde übers Gesicht. „Sie wird sich auch mit niemandem mehr unterhalten können.“
„Das sehe ich anders!“
„Naggit, sie ist nicht in der Lage, auf gedanklicher Ebene zu kommunizieren, versteh das doch. Sie hat ihre Gesundheit, ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um die Glasarmee in die Flucht zu schlagen. Und sie hat Tapferkeit bewiesen und Mut. Ich bin sehr stolz auf sie.“
„Das muss ein Spektakel gewesen sein. Und ich war nicht dabei! Ich habe mir ihr Lied angehört, es ist wunderschön.“
„Du hast ... wie denn das?“
„Mit ADAs Hilfe. Sie hat gemeinsam mit Double-T alles aufgeschrieben, sozusagen. Eine Aufnahme erstellen heißt das, glaube ich.“ Naggit sah zur Decke. „ADA? Spielst du bitte noch einmal Etieras Lied, aber in Drachenlautstärke.“ Er zwinkerte Hockster zu. „Letztes Mal hat sie es in Originallautstärke abgespielt. Jeder Gegenstand aus Glas, den man auf diese Ebene finden konnte, ist schon bei den ersten Tönen zersprungen. Ganz besonders diese schlanken Röhrchen in Telures Labor. Not und Verderben, war der wütend!“
Leise erklang Tippets Lied. Hockster setzte sich auf den Boden, schloss die Augen und lauschte. Er hörte es zum ersten Mal, ohne sich Sorgen um sein Wohlergehen machen zu müssen. Sie sang so schön.
Kannst du für mich übersetzen?, fragte Hockster in
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