Der dritte Kontinent (Artesian 3) (German Edition)
Ersatzteile bestellt und abgeholt werden. Außerdem hatte sie Tira versprochen zu helfen, bis sie sich eingelebt hatte, das Versprechen aber nicht halten können, weil es immer zu viel Arbeit für zu wenig Hände gab und ganz zuletzt war da noch dieser Drache, der für mehr Unruhe sorgte als ein Trupp Söldner auf Landgang. Über kurz oder lang würde sie ihn nach Hause schicken müssen.
In den ersten Wochen war Naggits allzeit gute Laune ein Segen für sie und Tira gewesen und insgeheim hatte sie sich gefreut, dass wenigstens einer von ihnen Hocksters Tod gut verarbeitet hatte. Aber sein Leichtsinn brachte neuerdings nicht nur ihn immer wieder in größte Schwierigkeiten.
Tira hielt sich aus allem heraus und lebte still und zurückgezogen auf der Independence. Sie verbrachte 12, manchmal 14 Stunden in der Bordbibliothek oder in Madigans Laserbird und lernte von Double-T alles, was eine Söldnerin mit planetarer Kampferfahrung über kriegerische Auseinandersetzungen im All wissen musste. Sie interessierte sich für Physik, Raumfahrt, Waffentechnik, Navigation und, da sie aufgrund des Personalmangels sehr schnell zum Leutnant befördert worden war, auch für militärische Strategie und Weltraumtaktik. Anschließend an ihre langen Sitzungen ging sie in die Kantine, suchte sich ein Opfer – vorzugsweise die junge Dice Tarquill – und verwickelte sie in lange theoretische Diskussionen über das soeben Erlernte. Tira war ein Naturtalent. Sie lernte schnell, schien an allem interessiert und hatte das bittere Leid und den Schmerz aus der Belagerung Trenadils noch lange nicht vergessen. In ihr brannte ein Feuer, dass sich nach Genugtuung verzehrte und Madigan fürchtete, dass ihre Freundin sobald nicht zur Ruhe kommen würde. Tira brauchte einen Halt. Aber Halt hatte Madigan nicht zu bieten.
Die Kontrolltafel auf der Kryobox leuchtete. Ein wenig verloren starrte sie in das grüne Licht. Es wurde Zeit, zu einem der großen Weltraumhäfen zu fliegen, Artesian und die Erinnerungen daran hinter sich zu lassen.
Es klopfte zaghaft an der Tür. Madigan lächelte. Immer wieder eine Überraschung.
„Es ist offen!“
Tira schlüpfte herein. „Hallo! Nur weil du Kapitänin bist, kannst du trotzdem bestohlen werden.“
„Wie denn? Wir haben überall Überwachungskameras. ADA findet jeden Dieb innerhalb kürzester Zeit. Außerdem gibt es hier nichts, was sich zu stehlen lohnt.“ Madigan sah Tira fragend an. „Wie geht es dir?“
Tira ließ sich auf Madigans Bett fallen. „Ich sehne mich nach Zärtlichkeit und Fürsorge. Aber keiner deiner Söldner will mit mir schlafen.“ Sie seufzte. „Ich bin einsam.“
„Ja!“
Tira schnitt eine Grimasse, die Madigan auflachen ließ. „So sehen sie mich zurzeit“, erklärte Tira, „als hässliche Artesianerin. Keiner schenkt mir genug Vertrauen oder hat ein freundliches Wort für mich. Außer Double-T und an einem guten Tag auch Dice Tarquill. Seit ich ihr gezeigt habe, wie man mit Pferden umgeht, sieht sie in mir nicht mehr nur eine dumme Artesianerin.“
ADAs Stimme erklang leise im Raum. „Annäherung des Drachen Naggit.“
Madigan zögerte einen Augenblick. „Notfallplan ’Drache’“, hauchte sie dann.
Tira sah zur Tür, als das Schloss wie von unsichtbarer Hand zugedreht wurde. Das Licht erlosch. Im letzten Schein sah Tira, wie Madigan einen Zeigefinger an ihre geschlossenen Lippen führte. Sie grinste und nickte.
Wenig später hörten sie den kleinen Drachen vor der Tür landen. Eine krallenbewehrte Tatze fuhr darüber. Das Geräusch war unangenehm, aber die beiden Frauen blieben still.
„Ich weiß, dass ihr da drin seid“, erklang es von draußen. „Ich kann euch mit meinen Drachenaugen durch die Tür hindurch genau sehen.“
Das konnte er nicht! Madigan bewegte sich leise zu Tira herüber und setzte sich neben sie. Tira musste sich ein Lächeln verkneifen. Sie nahm Madigans Hand und drückte sie sanft.
„Hallo da drinnen. Ihr haltet mich doch nicht für blöd, oder?“
Madigan versteifte sich. Nicht lachen, ermahnte sie sich streng.
„Ich bin ein Drache, wie Ihr Euch sicher erinnert. Ich gebiete über Feuer und Wind. Ich kann Euch riechen, und wenn mich nicht alles täuscht, versucht ihr krampfhaft, nicht zu lachen.“
Madigans Oberkörper zuckte. Tira spürte es bis in die Fingerspitzen. Sie selbst konnte kaum noch stillsitzen.
„Not und Verderben, soll ich diese Tür niederbrennen? Das macht mir gar nichts aus!“
Madigans Hand presste fester.
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