Der dritte Kontinent (Artesian 3) (German Edition)
zu besitzen?“
„Der Weg stinkt wie fauler Fisch. Ist Euch das aufgefallen? Versteht mich nicht falsch, Reisender, ich glaube Euch. Gleichwohl ändert das nichts an meiner Sicht bezüglich eurer geringen Lebensfreude.“
„Wie war es dort?“ Hockster wies auf den Frühling. „Schön?“
„Ja! Nein! Ja! Es war beides. Vor allem aber falsch. Es fühlte sich an wie das pure Glück aber irgendetwas dort hat von meiner Lebenskraft genommen wie ein Parasit, der sich an der Haut festsaugt und das warme Blut seines Wirtes trinkt.“ Tippet schüttelte sich. „Ich halte diesen Gestank nicht aus.“
„Ich werde dich tragen.“ Hockster nahm Tippet auf, setzte sie auf seine linke Schulter und ging weiter.
„Ah, Naggits Platz.“
„Fast. Er saß auf der anderen Seite und beschwerte sich immer, er könnte herunterfallen.“
„Ist er gefallen?“
„Nein, nie! Er war ein alter Nörgler. Ist es noch!“
„Er bedeutet Euch viel.“
Hockster überlegte einen Moment und sagte dann: „Wir hatten letzte Woche ein paar Meinungsverschiedenheiten. Halt, das war vor Monaten, kurz vor meinem ... bevor die Chetekken Trenadil stürmten. Ich war zu dieser Zeit ziemlich mit mir beschäftigt. Die Freunde kamen zu kurz, Naggit auch. Er wendete sich von mir ab und der Auserwählten zu. Das taten übrigens alle in dieser Zeit – die Auserwählte Goldhand DeVille beschützen.“
„Aber Ihr nicht?“
„Wie denn?“ Er wies an sich herunter.
„War es angenehm, ein Auserwählter zu sein?“
„Anfangs schon.“, Hockster lachte bitter. „Anfangs ist immer alles schön. Die Probleme fangen erst an, wenn man das Schöne aus den Augen verliert.“
Tippet drehte den Kopf von einer Seite zur anderen: „An diesem Ort ist es genau umgekehrt.“
Weit hinter ihnen verstummten endlich die Beltrimblumen. Aber sie hatten noch lange nicht aufgegeben. Sie neigten sich zur Seite, bis immer zwei einander berührten, und wanden ihre Stängel umeinander, verschmolzen zu einem stabilen Gebilde. Überall gab es schmatzende Geräusche, als sie sich gegenseitig aus der feuchten Erde rissen, dann hüpften sie davon, fielen und stürzten den Eindringlingen hinterher.
Von den Wiesen und Seen ringsum näherten sich die Lebewesen dieser Welt und nahmen zu beiden Seiten des Dunklen Weges Aufstellung. Ein Spalier aus nackten Leibern.
Als Hockster und Tippet sich näherten, hörten sie die schmachtenden Rufe der durch den Weg voneinander getrennten Liebespaare. Augen füllten sich mit Tränen, sanfte Worte wurden gehaucht, Liebesschwüre auf ewig gegeben. Die Blicke waren ein einziges Flehen. Sie konnten miteinander sprechen, aber sich nicht berühren.
Hockster schauderte beim Anblick von so viel versagter Liebe und war froh, als sie das letzte Paar passierten.
Selbst Tippet stöhnte vor tief empfundenen Schmerz. „Da waren mir die Blumen lieber.“
Im gleichen Moment erklangen hinter ihnen die schon bekannten Schmährufe „Wertloser Beltrim, bleib stehen, bleib stehn.“
„Diese hohen Stimmen gehen mir auf die Nerven!“
„Dreckiger Beltrim! Wertlos! Wertlos! Bist Dreck, bist Schleim, ein aufrechter Scheißdreck! Keiner liebt dich!“
„Ja, ja!“
„Liebst dich selber nichtens, schleimiger Dreckster Stinktrim. Wertloser Abfall!“
Tippet betrachtete Hockster von der Seite. „Das scheint Euch ja ziemlich kalt zu lassen.“
„Abgesehen von meiner Stimme habe ich so etwas mein ganzes Leben lang gehört. Wenn nicht mehr kommt, ist es leicht.“
„Glaubt Ihr, dass wir alle Prüfungen bestehen werden?“
„Wenn nicht, werden wir uns kaum an unser Leben erinnern.“ Er wies auf die Wesen ringsum. „Sie waren einst Wanderer wie wir, verzweifelte Menschen, Hajadas, Zwerge und Andere, unterwegs zwischen den Traumwelten, und sind nur ein einziges Mal vom Weg abgekommen.“
„Einmal zu viel“, sagte Tippet.
„Ja!“
„Jetzt auf ewig gefangen!“ Tippet senkte den Kopf. „Sie sehen uns nicht einmal!“
„Genau das macht mir Sorgen.“
Es wurde wieder ruhig, Tippet sah sich um. „Sie haben aufgegeben“, sagte sie. Die seltsamen Blumen blieben zurück.
„Ich bin nicht überzeugt“, widersprach Hockster argwöhnisch.
„Wigget sagte mir, an Orten wie diesen müsse man sich seinen ureigensten Ängsten stellen“, erklärte Tippet.
„Deine Ängste kennst doch nur du selbst.“
„Ist es nun wahr, oder nicht?“
„Ich weiß es nicht“, erwiderte Hockster. „Es ist das erste Mal, dass ich herkomme und ganz bestimmt will
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