Der dritte Kontinent (Artesian 3) (German Edition)
ich es kein zweites Mal tun.
„Ihr weicht mir aus!“
„Jeder von uns hat vor irgendetwas Angst“, sagte Hockster. „Ich sehe meine Angst jeden Morgen im Spiegel.“
„Was fürchtet Ihr, Reisender?“
„Den Ausgang nicht zu finden ist meine größte Angst zurzeit.“
„Darüber hinaus? Gibt es keine dunklen Ecken in Eurer Seele?“
Hockster sah zu einer Gruppe Hajadas hinüber. Sie spielten mit einer Art Netz und, wenn er das richtig sah, einer Handvoll roter Tomaten. Es fiel schwer, das Wahre von der Lüge zu trennen. Hier schien nichts real zu sein. „Ich bin wie jeder andere. Ich liebe das Licht, weil mich die Dunkelheit grübeln lässt. Ungerechtigkeit ist mir zuwider. Ich begehre eine Frau, die an ihrer Schuld erstickt und sich von mir abwendet. Ich fühle mich klein und hässlich und siehe da, ich bin es. In meiner Brust schlägt ein Herz, das in gefahrvollen Momenten nicht den Mut entdeckt, sondern auf die Geschwindigkeit viel zu kurzer Beine hofft und ich hasse Rätsel. Das sollte genügen, um mindestens fünf handfeste Ängste daraus zu machen.“
Tippet sah Hockster ernst an. „Ihr weicht mir noch immer aus! Was ängstigt Euch?“
„Dass sie mich nicht mehr liebt!“
„Ja!“
Hockster marschierte schweigend weiter. Der Weg wand sich in sanften Kurven dahin, ein Ende war noch nicht auszumachen. „Was ist mit dir?“
„Ihr wollt wissen, wovor ich mich fürchte?“
„Nein. Ich glaube es ist ein Unterschied zwischen Angst und Furcht.“
„Ich will nie wieder die werden, die ich einst war!“, sagte sie klar.
Hockster öffnete eine Wasserflasche und trank. Er bot Tippet davon an, aber sie lehnte ab.
„Und was warst du?“
„Nur ein Ding!“ Tippet begegnete Hocksters Blick. „Nein! Keine Fragen mehr.“
Hockster nickte, verstaute die Wasserflasche, setzte Tippet wieder auf seine Schulter und schritt kräftiger aus. Die Landschaft veränderte sich, auf beiden Seiten tauchten jetzt mehr und mehr Büsche und Sträucher auf.
Tippet wies darauf. „Schaut, sogar die Büsche sehen hier gefährlich aus.“
Hockster sah hin. „Das liegt daran, dass sie es sind. Der da drüben bewegt sich und der da auch. Ich werde ein wenig schneller gehen.“
Die Dornenbüsche, die tief im Herzen des Herbstes gestanden hatten, erhoben sich auf ihren dürren Ästen und rollten heran. Als sie nahe genug waren, schossen sie spitze Dornen auf die beiden Eindringlinge.
Die Stiche waren schmerzhaft, aber die Dornen drangen nicht tief ein. Tippet machte sich auf Hocksters Schulter ganz klein, wurde aber doch getroffen.
„Schön hierbleiben!“, mahnte Hockster. „Jenseits des Weges lauert das Vergessen.“
„Es schmerzt! Ihr seid doch Magier. Verbrennt diese elenden Gewächse!“
„Und was passiert dann? Werden wir als Nächstes von Bäumen angegriffen? Erst Blumen, jetzt Sträucher. Ich will den Vorgang nicht beschleunigen. Das hier sollte es auch tun.“ Hockster stellte den Rucksack auf die rechte Schulter. Die Dornen prallten davon ab und die übrigen trafen wirkungslos auf den langen Mantel, den er trug.
Voraus führte der schwarze Weg in einem Bogen um einen Weiher. Seltsam geformte Enten schwammen darauf. Etwas raschelte im Schilf. Die Büsche blieben zurück.
Sie umrundeten den Weiher und hielten auf ein Feld von gelben Rosen zu, das vom Weg in zwei Teile geschnitten wurde.
Der Boden öffnete sich links und rechts. Tauben und Möwen tauchten aus den Löchern auf, Erdklumpen fielen aus ihrem Gefieder, getrockneter Schlamm klebte auf ihren Köpfen. Sie stolzierten wie feindliche Heere neben dem Weg dahin, eskortierten Hockster und Tippet ins Unbekannte.
„Fehlt nur noch, dass es Fische regnet.“
Gewitterdonner rollte über sie hinweg. In der Ferne zuckten Blitze. Die Vögel verschwanden wieder im Erdreich.
„Seltsam“, sagte Tippet.
Hockster ging schneller.
„Wieso seid Ihr so gänzlich unbeeindruckt?“, fragte Tippet.
Hocksters Grinsen war nicht echt. „Ich stehe kurz vor einer Nerven zerfetzenden Panik.“
„Sagt Bescheid, wenn es so weit ist, dann schließe ich mich Euch an.“
Das Gewitter kam schnell näher. Hockster lief jetzt. Dann waren die Wolken über ihnen und warfen ihre Last ab. Fische prasselten herab, schlugen klatschend ins Gras der Jahreszeiten und versanken wie Regen in der Erde. Kurz darauf war der Spuk vorbei.
„War doch ganz harmlos“, sagte Tippet.
„Es gibt nichts Harmloses in dieser Welt. Alles ist eine Bedrohung für Leib, Leben oder
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