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Der dritte Mond

Der dritte Mond

Titel: Der dritte Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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riesig war. »Eine halbe Stunde«, schätzte sie. »Eher zwanzig Minuten«, sagte Skudder. »Aber das reicht. Es wird ernst.« Er warf ihr einen nachdenklichen Blick zu, und Charity hatte das sichere Gefühl, daß er noch etwas Bestimmtes sagen wollte. Aber dann hob er nur die Schultern, drehte sich rasch um und öffnete einen Gepäckcontainer aus grauem Kunststoff, der direkt an der Wand neben der Schleusentür angebracht war. Charity verspürte ein rasches, unangenehmes Frösteln, als sie die beiden eng zusammengerollten Bündel identifizierte, die Skudder herausnahm. Sie zögerte länger als nötig, als Skudder ihr einen der beiden Anzüge hinhielt. »Es ist sicher«, sagte Skudder. »Ich habe den Selbstzerstörungsmechanismus höchstpersönlich ausgebaut.« Charity ersparte sich den Hinweis, daß dies nicht der Grund für ihr Zögern war. Wie die Stingray selbst waren auch die beiden Anzüge Beutestücke, die sie aus verschiedenen Teilen und nach ihren Bedürfnissen zusammengebaut hatten. Doch umgebaut oder nicht – in diesen Anzügen waren Menschen gestorben. Charity erinnerte sich noch zu gut an den Anblick, der sich ihr geboten hatte, als sie den ersten dieser Anzüge öffnete. Sie war gewiß nicht zimperlich, doch es gab Grenzen. In der Zeit, die sie brauchte, um den Anzug überzustreifen, kamen die sechs leuchtenden Blips auf dem Radarschirm ein gutes Stück näher. Sie hatten sich verschätzt – oder die Maschinen hatten noch weiter beschleunigt. So oder so: Ihre Zeit war knapper bemessen, als sie geglaubt hatten. Charitys Unbehagen steigerte sich für einen Moment zu einem Gefühl, das verdächtig nahe an Panik grenzte, als sie den Helm überstreifte. Das einseitig verspiegelte Visier war kaum so breit wie ein Bleistift, so daß sie unter dem Helm nichts als Dunkelheit erwartet hatte, doch sie erlebte eine Überraschung: Ihr Gesichtsfeld war kaum eingeschränkt, und sie sah sogar besser als ohne den Helm. Eine weitere technische Überraschung, die die Fremden für sie bereit gehalten hatten. Charity fragte sich, wie viele noch kamen. Und welche vielleicht die letzte sein würde. »Bereit?« Skudders Stimme drang aus keiner erkennbaren Richtung an Charitys Ohr. Sie hatte bisher nicht einmal gewußt, daß die Anzüge über eine interne Kommunikationsanlage verfügten, geschweige denn, wie sie funktionierte. Sie nickte. Dann fiel ihr ein, daß Skudder die Bewegung im Inneren des Helms nicht sehen konnte. Anscheinend deutete er ihr Schweigen aber als Zustimmung, denn er wandte sich ohne ein weiteres Wort um, trat in die Schleusenkammer und winkte ihr, nachzukommen. Zwei Minuten später traten sie nebeneinander auf die Hülle der HOME RUN hinaus. Charitys erster Blick galt der Stingray, aber das Schiff lag unverändert da, genau so, wie sie es verlassen hatten, als wären tatsächlich nur die wenigen Stunden verstrichen, die ihre Landung – subjektiv – zurücklag. Etwas anderes jedoch hatte sich grundlegend geändert: Als Charity angekommen war, war die HOME RUN kaum mehr als ein schwarzer Metallbrocken gewesen. Jetzt brannten in und auf dem Schiff zahllose Lichter, so daß es schon über große Entfernung hinweg zu sehen sein mußte. Drasko nahm seine Friedensmission offenbar sehr ernst. Die HOME RUN funkelte wie ein zu groß geratener Weihnachtsbaum. Man konnte ihnen wahrhaftig nicht vorwerfen, daß sie versuchten, sich anzuschleichen. Charitys Blick löste sich von den sanft geschwungenen Umrissen des Jägers und glitt über den Himmel. Sie waren noch immer fast eine halbe Million Kilometer vom Mars entfernt, trotzdem schien der rote Planet fast zum Greifen nahe – eine riesige, rostfarbene Kugel, öde im Vergleich zum Anblick der Erde, wie er sich aus dem Weltraum heraus bot, und trotzdem auf eine schwer in Worte zu fassende Art majestätisch. Und er war mehr als eine tote Steinkugel. Immerhin reichte die bloße Nähe des Planeten, um die Gravitationsgeneratoren der HOME RUN wieder zu vollem Leben zu erwecken. »Mars bringt verbrauchte Energie sofort zurück«, murmelte sie. »Was?« fragte Skudder. »Nichts«, sagte Charity rasch. »Ein… altes Sprichwort aus meiner Zeit.« »Ihr wußtet damals schon von den Gravitationsgeneratoren?« wiederholte sich Skudder. Charity seufzte. »Vergiß es einfach«, sagte sie. »Komm.« Sie beeilten sich, die letzten Meter zur Stingray zurückzulegen. Nach der unendlichen Leere, die sie gerade noch umgeben hatte, kam Charity die Enge an

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