Der dritte Mond
Räumen brannte Licht, obwohl noch niemand da war, der es gebraucht hätte, und der Anblick der Zentrale erinnerte Charity auf frappierende Weise an die zahllosen Science-Fiction-Filme, die sie während ihres ersten Lebens gesehen hatte: Verwaiste Stühle vor blinkenden Kontrollpulten, Monitore, auf denen endlose Zahlenkolonnen und verwirrende Grafiken vorüberzogen, Ausrüstungsgegenstände, die einen lautlosen Tanz in der Schwerelosigkeit aufführten. Das Schiff war für eine Besatzung von zwölf Mann konzipiert, konnte aber auch ohne die geringste menschliche Hilfe fliegen. Es ist nichts weiter als eine Maschine, dachte Charity. Kaum mehr als ein zu groß geratener, äußerst komplizierter Taschenrechner. Trotzdem war es ein unheimlicher Anblick. Und er paßte zu den Gedanken, die Charity auf dem Weg hier herein gehabt hatte. Nicht einmal dieses Schiff brauchte sie, Skudder oder sonst jemanden wirklich – wie also kam sie auf die Idee, daß das Universum etwas so Überflüssiges wie die Menschen brauchte? »Da.« Skudder deutete auf einen Monitor, auf dem die Schlaftanks der Besatzung zu erkennen waren, und Charity sah sofort, was er meinte: Die Besatzung der HOME RUN bestand aus zwölf Freiwilligen – aber es waren dreizehn Tanks. »Einer zuviel«, sagte sie. »Hartmann wird doch nicht etwa so verrückt gewesen sein…?« »Das dachte ich im ersten Moment auch«, sagte Skudder. »Aber dann habe ich ein bißchen Radio gehört.« Er legte einen Schalter um, und Charity hörte unvermittelt einen Teil der Botschaft, die die HOME RUN ununterbrochen ausstrahlte, seit sie sich dem Mars näherten: »… friedlicher Absicht. Ich wiederhole: Hier spricht Gouverneur Jan Drasko von Bord der HOME RUN. Das Schiff ist unbewaffnet und nähert sich dem Mars in friedlicher Absicht. Wir kommen, um Verhandlungen mit Ihnen aufzunehmen…« Die Nachricht ging offensichtlich noch weiter, aber Charity hatte genug gehört und schaltete ab. »Drasko! Mut hat er ja, das muß man ihm lassen.« Skudder schnaubte. »Der Kerl ist karrieregeil, das ist alles! Hartmann hat vollkommen recht, weißt du? Wenn er damit durchkommt, hat er die nächste Wahl so gut wie gewonnen.« »Wenn er damit durchkommt«, zitierte Charity ihn betont, »haben wir Frieden, Skudder. Aber er wird nicht damit durchkommen.« Erst als Charity die Worte ausgesprochen hatte, wurde ihr klar, wie sie sich vielleicht anhören mochten. Dabei hoffte sie nichts mehr, als daß Draskos Alleingang erfolgreich verlaufen möge. Aber sie wußte, das würde nicht geschehen. Die Fremden wollen keinen Frieden. Zumindest nicht zu Bedingungen, die sie akzeptieren würden. Skudder zoomte den Bildausschnitt heran, bis das Namensschildchen auf dem zusätzlich aufgestellten Cryogentank zu lesen war. Jan Drasko, stand darauf. Charity wiederholte in Gedanken, was sie gerade laut gesagt hatte: Man konnte über Draskos Beweggründe streiten, aber Mut hatte er. »Du weißt, was sein Hiersein bedeutet?« fragte sie. Skudder zuckte die Achseln, und Charity fuhr in nachdenklichem Tonfall fort: »Hartmann wußte nichts davon, sonst hätte er es uns gesagt. Drasko hat ihm nicht getraut. Ich frage mich, was für Überraschungen wir noch an Bord haben.« »Vielleicht wußte er ja auch von uns«, pflichtete Skudder ihr bei. »Ich sollte besser nachsehen, ob unser Schiff noch da ist.« Seine Finger flogen über die Tastatur. Das Bild wechselte hektisch, bis er eine der Außenkameras gefunden hatte. Die Stingray hing unverändert am Rumpf der HOME RUN, wie ein bizarr geformter Parasit, der sich an der Flanke eines gepanzerten Riesenfisches festgesaugt hatte »Wenigstens ist es noch da«, sagte Charity. »Trotzdem. Mir wäre wohler, wenn du hinausgehst und die Maschine überprüfst.« Skudder schüttelte den Kopf. »Nicht genug Sauerstoff«, sagte er. »Wir können die Schleuse nur einmal öffnen. Ich fürchte…« Er brach ab. Ein konzentrierter, zum Teil aber auch erschrockener Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. »Was ist?« fragte Charity knapp. »Wir bekommen Besuch«, antwortete Skudder. »Es geht los.« Es vergingen noch ein paar Augenblicke, aber dann sah auch Charity, was er meinte: Auf einem der Monitore war ein halbes Dutzend grün leuchtender Punkte erschienen, die sich der HOME RUN mit täuschender Langsamkeit näherten. Charity wußte es jedoch besser: Daß man die Bewegung auf dem Radarschirm überhaupt sehen konnte, bedeutete, daß die Geschwindigkeit der Objekte
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