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Der dritte Mond

Der dritte Mond

Titel: Der dritte Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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fünfzehn Sekunden verstreichen, in denen sie einfach mit geschlossenen Augen dalag und langsam und tief ein- und ausatmete. Erst dann richtete sie sich behutsam auf. Skudder stand mit dem Rücken zu ihr und hämmerte auf den Tastaturen von gleich zwei Computern zugleich herum. Auf den dazugehörigen Monitoren rasten Buchstaben und Zahlenkolonnen so schnell vorüber, daß Charity schon vom bloßen Hinsehen Kopfschmerzen bekam. Eine Atmosphäre unangenehmer Nervosität lag in der Luft. Charity begriff sofort, daß irgend etwas nicht stimmte. Skudder hatte ihre Bewegung wohl gehört, denn er drehte sich zu ihr herum und streckte den Arm aus. Auf seiner Handfläche lagen drei winzige, verschiedenfarbige Tabletten. »Frühstück«, sagte er. »Wie versprochen. Kaffee, Rühreier mit Speck und frisch gepreßter Orangensaft. Aber schling nicht so.« Charity betrachtete die Tabletten mißmutig. Skudders Worte waren nur halb scherzhaft gemeint. Die drei Konzentratpillen enthielten tatsächlich alles, was ihr Körper brauchte, und wahrscheinlich würden sie sogar so schmecken, wie Skudder sie angepriesen hatte. Trotzdem hätte Charity in diesem Moment ihre linke Hand für eine Tasse richtigen Kaffee gegeben. Leider war die nächste Kaffeemaschine etliche Millionen Meilen entfernt. »Was ist schiefgegangen?« fragte sie, während sie die drei Konzentratpillen mühsam herunterwürgte. »Direkt schiefgegangen ist nichts«, antwortete Skudder. »Aber irgend etwas stimmt nicht. Wir sind fast vierundzwanzig Stunden zu früh aufgewacht.« »Vielleicht hat jemand den Wecker falsch gestellt.« Charity stemmte sich auf den Rändern des Schlaftanks in die Höhe, aber sie war noch so wackelig auf den Beinen, daß sie sich von Skudder dabei helfen lassen mußte, ganz aus dem Chromsarg herauszuklettern. »Danke«, sagte sie. »Wieso besitzt du eigentlich die Unverschämtheit, schon so fit zu sein?« »Weil ich meinen Tank so eingestellt hatte, daß ich sechs Stunden vor dir wach wurde«, gestand Skudder unumwunden. »Und das war auch gut so. Ich habe nämlich eine Menge interessanter Dinge herausgefunden, während du noch deinen Schönheitsschlaf gehalten hast.« »War er wenigstens erfolgreich?« »Was willst du von mir hören? Daß er nicht nötig war?« Skudder machte mit der linken Hand eine flatternde Geste auf das Sammelsurium von Computern und Anzeigeinstrumenten hinter sich. »Wenigstens habe ich eine ungefähre Vorstellung davon, warum wir zu früh aufgewacht sind. Die zentrale Energieversorgung der HOME RUN hat sich eingeschaltet.« »Erklär es mir.« Charity fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. »Ich kann noch nicht richtig denken.« »Hartmann hat ein bißchen geschwindelt, als er die Schlaftanks für die Besatzung einbauen ließ«, sagte Skudder. »Die Geräte benötigen sechsunddreißig Stunden, um ihre Insassen zu wecken. Unsere schaffen es in zwölf Stunden. Das bringt uns den zeitlichen Vorsprung, den wir brauchen.« »So weit denken kann ich schon noch«, murmelte Charity. »Du mußt nicht mit den Bienen und den Blumen anfangen.« »Die HOME RUN besitzt einen Gravitationsgenerator«, fuhr Skudder unbeeindruckt fort. »Wir dachten, er würde sich automatisch einschalten, sobald wir die Hunderttausend-Meilen-Grenze erreichen, wie bei der Erde.« »Und das hat er nicht«, vermutete Charity. »Sind wir schon auf dem Mars gelandet?« »Ganz im Gegenteil«, antwortete Skudder. »Der Generator hat sich viel zu früh eingeschaltet. Wir sind fast eine halbe Million Kilometer vom Mars entfernt. Trotzdem liefert das Ding volle Energie.« »Wir gewinnen etwas Zeit«, sagte Charity. »Was ist so schlimm daran?« »Vielleicht nichts, vielleicht alles.« Skudder hob die Schultern. »Die HOME RUN hat vor zwölf Stunden damit begonnen, Friedensbotschaften auf allen bekannten Frequenzen und in drei Dutzend Sprachen zu senden, so wie es vorgesehen war. Wenn unsere Freunde zu früh darauf reagieren, bekommen wir Schwierigkeiten. Der Treibstoff der Stingray reicht nicht, um den Mars von hier aus zu erreichen.« »Haben sie denn schon auf die Botschaften reagiert?« fragte Charity. Skudder verneinte. Dann sagte er: »Es gibt noch ein Problem.« Mit ein paar Handgriffen aktivierte er ein halbes Dutzend Computermonitore, auf denen verschiedene Räume im Inneren der HOME RUN zu sehen waren. Diesen Anblick hatte Charity erwartet: Das Schiff war wieder zu lautlosem elektronischem Leben erwacht. In den meisten

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