Der dritte Zustand
wenn nicht das im Wege stände, was dort als linke Neigung zu rückhaltloser Versöhnung gewertet wird. Der Taxifahrer hat recht gehabt: Unser größer Fehler der letzten zwanzig Jahre besteht darin, daß wir die Empfindungen von Herrn Pisanti nebst Frau und Hunderttausenden anderer Israelis ihres Schlages nicht ernst genommen haben, bei denen die Araber authentische Wut-, Angst- und Mißtrauensgefühle auslösen. Dabei haben diese Empfindungendoch keinen Hohn verdient, sondern vielmehr das schrittweise, logische Bemühen, sie mit Hilfe der Vernunft zu überwinden. Statt mit ihnen zu reden, haben wir sie kübelweise mit hochmütigem Spott überschüttet. Es hat also Sinn, ein Abkommen aufzusetzen, das genau festlegt, wo die Grenze unserer, der Gemäßigten, Verzichtsbereitschaft gegenüber den Arabern liegt. Damit sie nicht, wie Baruch, meinen, wir seien gewissermaßen für einen Totalausverkauf. Damit sie wissen, wofür auch wir Linken sogar in einen neuen Krieg ziehen würden, falls sich herausstellen sollte, daß die arabische Seite uns betrügt und an der Nase herumführt. Auf diese Weise können wir vielleicht einige der Falken beruhigen und so die eingefrorene Situation auftauen.
Als Fima die Wendung »eingefrorene Situation« benutzte, fiel ihm ein, daß er vergessen hatte, den Ofen anzuzünden. Er bückte sich und stellte erfreut fest, daß noch genug Petroleum drin war. Nachdem er ihn in Brand gesetzt hatte, empfand er das Bedürfnis, sich erst mit Zwi Kropotkin zu beraten, bevor er sich an die Abfassung des Aufrufs setzte. Vor lauter Enthusiasmus machte es ihm nichts aus, Zwi schon wieder mitten bei der Rasur zu stören, denn seine neue Idee erschien ihm fruchtbar, nützlich und daher auch äußerst dringend. Aber aus dem Hörer drang erneut nur Schweigen. Fima meinte, dieses Schweigen sei jetzt vielleicht weniger tief als am Vorabend: Ein leichtes, abgehacktes Surren, ein wenig wie Zähneknirschen, war mehr zu ahnen als zu hören. Wie ein Ächzen aus tiefsten Tiefen. Daraus entnahm Fima ein schwaches Lebenszeichen, ein allererstes Signal für die Erholung des Apparats. Er war überzeugt, das Telefon habe nicht etwa sein Leben ausgehaucht, sondern sei nur in tiefe Ohnmacht verfallen, und zeige nun, wenn es auch das Bewußtsein noch nicht wiedererlangt hatte, doch eine schlaffe Reaktion, ein leises Stöhnen unter Schmerzen, einen matten Pulsschlag, was Anlaß zu Hoffnung gab. Wobei er allerdings in Rechnung stellte, daß genau in diesem Augenblick der Kühlschrank in der Küche zu brummen begonnen hatte. So daß die Hoffnung womöglich verfrüht sein mochte.
Auch der Ausdruck »rechtsgerichtetes Element« erschien ihm plötzlich abstoßend: Es war nicht richtig, Menschen mit dem schalen Wort »Elemente« zu belegen. Außerdem erblickte er etwas Absurdes an dem Gedanken, die Vertreter der Gegenmeinung auf die Psychiatercouch zu legen: Man könnte meinen, unser Lager strotze vor blühender geistiger Gesundheit. Dabei nagen doch auch an uns Verzweiflung, Frustration und Wut.Auch wir sind im Wust der Empfindungen gefangen. Nicht weniger als unsere Gegner. Und darüber hinaus sind die Worte »unser Lager« absolut lächerlich: Was heißt hier »unser Lager«? Das ganze Land ist Front. Das ganze Volk Militär. Alles teilt sich in Lager. Friedenstruppen. Gemäßigte Kräfte. Stoßtrupps der Koexistenz. Abrüstungswächter. Kommando Völkerfreundschaft. Speerspitze der Aussöhnung.
Statt einen Aufruf zu verfassen, trat Fima ans Fenster, um seine Gedanken zu ordnen. Und inzwischen betrachtete er das winterliche Licht, das sich wie Edelmetall über Gipfel und Hänge ergoß. Fima kannte und liebte den Ausdruck »Edelmetalle«, obwohl er keine Ahnung hatte, welche darunterfielen. In der väterlichen Wohnung in Rechavia hatten Baruch und Dimmi in Zangentaktik versucht, ihm eine erste Lektion in Chemie aufzunötigen. Fima hatte sich wie ein störrisches Kind mit allen möglichen Finten und Wortspielen dagegen gewehrt. Bis Dimmi sagte: Laß man, Großvater, das ist nichts für ihn. Worauf die beiden ohne ihn in die Bereiche von Säuren und Basen enteilten, die Fima wegen seines Sodbrennens haßte.
Das Licht küßte die Bergketten, wallte in die Schluchten hinab, weckte in jedem Baum und Stein sein schlafendes, strahlendes Wesen, das sonst alle Tage unter Schichten grauer, lebloser Routine vergraben lag. Als sei der Erde hier in Jerusalem schon vor Jahrtausenden die Kraft zur Erneuerung von innen her ausgegangen. Als
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