Der dritte Zustand
Gegenteil. Ich möchte etwas finden, das dir ein wenig Freude macht.«
»Du kannst nichts geben. Deine Hände sind leer. Und überhaupt, mach dir mal keine Sorgen um meine Freuden. Bei mir ist zufällig jeden Tag Feiertag. Oder fast jeden Tag. Bei der Arbeit. Am Reißbrett. Oder im Windkanal. Das ist mein Leben. Nur dort bin ich ein wenig ich selbst. Vielleicht tust du auch mal was, Efraim. Das ganze Problem mit dir ist, daß du nichts tust. Liest Zeitungen und ärgerst dich. Gib ein paar Privatstunden. Melde dich freiwillig zur Bürgerwehr. Übersetz irgendeinen Text ins Hebräische. Halte Soldaten Vorträge über die Bedeutung der jüdischen Ethik.«
»Es steht irgendwo – ich glaube, bei Schopenhauer –, daß der Verstand alles in Teile zerlegt, während die Intuition vereinigt und die verlorene Vollkommenheit wiederherstellt. Und ich sage dir, Jael, daß sich unsere Komödie nicht in zwei teilt, sondern, wie Rabin immer sagt, gerade in drei. Dieser Schopenhauer und all die anderen übersehen einfach völlig den dritten Zustand. Warte. Unterbrich mich nicht. Laß mich’s nur zwei Minuten erklären.«
Doch mit diesem Satz verstummte er, obwohl Jael ihm diesmal nicht ins Wort gefallen war. Dann sagte er: »Ich werd’ dir alles geben, was ich habe. Ich weiß, daß es wenig ist.«
»Du hast gar nichts, Effi. Nur die Almosen, die du von uns allen schnorrst.«
»Übersiedelt ihr zu mir? Du und Dimmi? Wollen wir zu dritt nach Griechenland fahren?«
»Und dort von Nektar und Ambrosia leben?«
»Ich werde Arbeit finden. Werde Verkaufsagent der Firma meines Vaters. Nachtwächter. Sogar Kellner.«
»Sicher. Kellner. Und alles fällt dir aus den Händen.«
»Oder wir ziehen alle drei nach Javne’el! Auf den Hof, der deinen Eltern gehört hat? Wir züchten Blumen in Gewächshäusern wie deine Schwester und der Schwager. Kultivieren wieder die Obstbäume. Baruch gibt uns Geld, und wir sanieren die Trümmer so nach und nach. Bauen einen Musterbetrieb auf. Dimmi und ich versorgen jeden Tag die Tiere. Und dir errichten wir dort ein Studio mit Computern, Reißbrett. Und auch einen Windkanal, wenn du mir nur erklärst, was das ist. Abends vor Sonnenuntergang kümmern wir uns alle drei um den Obsthain. Und im letzten Tageslicht schleudern wir den Honig. Wenn es dir wichtig ist, auch Teddy mitzunehmen, hab’ ich nichts dagegen. Wir gründen dort eine kleine Kommune. Leben ohne Lügen und ohne jeden Schatten von Häßlichkeit. Du wirst sehen, wie Dimmi aufblühen und sich entwickeln wird. Und du und ich –«
»Ja. Und du stehst natürlich jeden Morgen um halb fünf auf – Stiefel, Hacke und Spaten, Wonne im Herzen und Schößling in der Hand –, legst die Sümpfe trocken und eroberst mit leeren Händen das Ödland.«
»Verspotte mich nicht, Jael. Ich gebe zu, daß ich noch von der Pike auflernen muß, dich richtig zu lieben. Na gut. Langsam werde ich lernen. Du wirst sehen, daß ich lerne.«
»Natürlich wirst du lernen. Im Fernunterricht. Oder in der Teleuniversität.«
»Du wirst mich lehren.«
Und plötzlich, in einem zaghaften Mutanfall, fügte er hinzu: »Du weißt sehr wohl, daß das, was du mir vorhin gesagt hast, nicht die ganze Wahrheit gewesen ist. Auch du hast das Baby nicht gewollt. Auch Dimmi hast du nicht haben wollen. Entschuldige, daß ich das gesagt habe. Hatte ich nicht beabsichtigt. Ist mir so rausgerutscht. Und den Dimmi möchte ich mehr lieben als mein eigenes Leben.«
Sie beugte sich über Fima, der auf seinem Schemel kauerte, in ausgeblichenenKordhosen und einem etwas abgewetzten roten Pullover, als halte sie mit aller Kraft an sich, um ihm keine Ohrfeige in die feiste Visage zu verpassen. Ihre Augen funkelten trocken, und ihr Gesicht wirkte alt und runzlig, als lehne da nicht Jael, sondern deren alte Mutter über ihm, umweht von einem Duft nach Schwarzbrot, Oliven und einfacher Handseife. Und sie sagte verwundert mit einem leichten, sonderbaren Lächeln weder zu ihm noch zu sich selbst, sondern in die Luft hinein: »Das ist auch im Winter passiert. Auch damals war Februar. Zwei Tage nach meinem Geburtstag. 1963. Als du und Uri bis oben hin in der Lavon-Affäre stecktet. Der Mandelbaum bei uns hinter der Küche in Kiriat Jovel begann zu knospen. Und der Himmel war genau wie heute blitzsauber und blau. Morgens wurde im Radio ein Potpourri von Schoschana Damari 24 gesendet. Und ich bin in einem lauten Taxi zu diesem russischen Gynäkologen in der Hanevi’im-Straße gefahren, der sagte, ich
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